Washington State

Schneller als gedacht reisen wir in die USA ein. Gerne hätten wir uns auf der Fahrt durch British Columbia noch etwas mehr Zeit gelassen und nochmal einige schöne Stellen besucht, aber die Waldbrandsituation in Kanada verdirbt uns den Spaß und lässt uns zügig durchfahren.

Die Einreise in die Staaten verläuft schnell und freundlich, nur unsere Hoffnung auf ein neues 6-Monats-Visum erfüllt sich leider nicht. Das alte, noch laufende aus Alaska gilt weiterhin.

Erstes großes Ziel in den USA ist Seattle. Auf dem Weg dorthin schauen wir mal kurz bei Boeing vorbei, ob die Produktion der 747 bis 787 ordnungsgemäß verläuft. Von den Besucherplattformen in der riesigen Halle, immerhin größtes Gebäude der Welt in Sachen Volumen, kann man das gut überblicken. Leider dauert die ganze Besichtigungstour nur etwa 90 Minuten, da bleibt nicht viel Zeit, den Baufortschritt eingehend zu begutachten.

Seattle gefällt uns. Kommt uns jung und weltoffen vor, ohne überdreht zu sein. Nicht spektakulär, aber unterhaltsam. Für eine amerikanische Metropole erscheint uns hier alles eine Nummer kleiner. Die Hügel, auf denen die Stadt errichtet ist, sind nicht ganz so steil wie in San Francisco, die Skyline ist nicht ganz so bombastisch wie die von New York und die Uferpromenade nicht ganz so szenisch wie die in San Diego. Die Backsteinbauten der Altstadt klemmen zwischen zwei Mega-Stadien auf der einen und den Hochhäusern des Geschäftsviertels auf der anderen Seite, eine zweistöckige Autobahnbrücke trennt ganz unromantisch die touristische Waterfront von der Innenstadt, aber trotzdem hat die Stadt viel Charme.

Zuerst treibt es uns zum Wahrzeichen der Stadt, zur Space Needle. Wir gucken zwar nur von unten, aber allein das sieht schon futuristisch und spannend aus. Ansonsten wirkt das ehemalige Weltausstellungsgelände „Seattle Center“, auf dem der Turm steht, eher verschlafen. Hat sicher schon bessere Zeiten erlebt.

An der Waterfront ist wesentlich mehr los, ist ja auch schließlich einer der Hauptanziehungspunkte der Stadt. Kilometerlang kann man an der Wasserkante entlang spazieren und schauen, was es auf den zahlreichen Piers an Angeboten für die Touristen gibt. Mit dabei die unvermeidlichen, überteuerten Bootstouren entlang der Skyline. Wir als Langzeitreisende sind auf die Schonung unseres Budgets bedacht und entscheiden uns für die Low-Cost-Version: Eine Fährfahrt auf die andere Seite der Bucht für eine Handvoll Dollar und mit dem gleichen wunderbaren Panoramablick.

Selbstverständlich schauen wir auch noch mal genauer aus der Nähe, wandern durch die gemütliche Altstadt um den Pioneer Square, in der noch viele historische Backsteinbauten überlebt haben, und durch die moderne, mit Wolkenkratzern gespickte Innenstadt.

Den Pike Place Market heben wir uns für die Lunchpause auf und denken dabei ahnungslos an eine gewöhnliche Markthalle, wie man sie halt so kennt. Doch als wir die unzähligen Treppenstufen von der Waterfront den Hügel hinauf erklimmen, stehen wir plötzlich vor einem riesigen Gebäudekomplex, der über mehrere Stockwerke und zwei Straßenlevel am Hang klebt. Drinnen finden wir uns unversehens mitten in einem Labyrinth aus verwinkelten Fluren und Treppenhäusern wieder, überall kleine, urige Läden mit Antiquitäten, Kitsch und Konsorten. Wir laufen kreuz und quer durch die Gänge, stoßen auf kleine Dachgärten und Innenhöfe, und landen schließlich auf dem oberen Straßenniveau zwischen den Ständen mit frischem Obst und fliegendem Fisch. Ja, ganz richtig, fliegende Fische sind hier eine Spezialität, wer genau das Foto unten anschaut, kann es sehen. Draußen zieht sich der Public Market noch viel weiter durch kleine Gassen und Arkaden und hier finden wir auch endlich unseren ersehnten Mittagspausensnack. Den Kaffee in der allerersten Starbucks-Filiale der Welt verkneifen wir uns allerdings angesichts der langen Warteschlange.

Nach drei Tagen verlassen wir Seattle, weiter geht es nach Tacoma. Hier sind wir mit Ute und Ralph verabredet, beide selber Unimogler und seit 2016 mit ihrem Albatros auf Reisen. Seitdem die beiden uns über das Internet aufgestöbert haben, stehen wir in Kontakt. In Tacoma treffen wir uns endlich das erste Mal und beschließen schnell, später in Oregon ein Stück gemeinsam zu reisen. Vorerst trennen sich aber unsere Wege.

Bevor wir nach Oregon fahren, machen wir einen Schlenker durch Washington State. Als erstes steht ein Besuch des Vulkans Mount Rainier in seinem Nationalpark an. Kurvenreich geht es durch dichten Wald steil die Berge hoch, bis zum passend benannten Paradise. Oben angekommen, wandern wir am Fuße des Berges herum, ist wirklich sehr schön in diesen kargen, alpinen Höhen, oberhalb der Baumgrenze und mit tollem Gipfelblick. Aber irgendwann ist es genug. So ein Betrieb hier!

Als nächstes geht es zum Vulkan Mount St. Helens. Wem dabei die schöne Helena in den Kopf kommt, weit gefehlt! Seit dem Ausbruch im Jahr 1980 sieht es rund um den Berg ganz schön verwüstet aus. Wir kurven durch die sogenannte Blast Zone, in der die Druckwelle so ziemlich den gesamten Wald weggepustet hat. Vom letzten Aussichtspunkt aus, der Windy Ridge, blicken wir auf den Spirit Lake, früher idyllischer Waldsee, jetzt in verkarsteter Felslandschaft. In der Ferne können wir die Schlamm- und Geröllflächen erahnen, die entstanden, als durch den Ausbruch die gesamte Nordseite des Vulkans weggesprengt wurde. Skurriles Panorama, kann man da nur sagen, absolut sehenswert.

Oregon

Nächster Halt: Portland, Oregon. Das erste Zusammentreffen verläuft alles andere als rund, unversehens landen wir mit Felix mitten in der Innenstadt, es ist eng, voll, unübersichtlich, wuselig, nirgendwo ein passender Parkplatz. Wir sehen zu, dass wir Land gewinnen. Trotzdem geben wir der Stadt eine zweite Chance und dann klappt´s.

Portland ist die Stadt der Brücken, der Mikrobrauereien und der Food Trucks. Wobei letztere ganz eindeutig in der Überzahl sind. Ganze Straßenzüge sind mit den bunten Verkaufsständen auf Rädern gepflastert, da haben wir gar keine andere Chance, als in einem dieser rollenden „Restaurants“ unser Mittagessen zu ordern. Keine schlechte Wahl! Die Mikrobrauereien, die sich vor allem in den alten Backsteinbauten in einem historischen Lagerhausdistrikt angesiedelt haben, sehen wir uns hingegen nur von außen an, ist ja schließlich noch helllichter Tag…

Portlands Innenstadt ist recht übersichtlich, keine hypermodernen Wolkenkratzer als Blickfang, dafür Hochhäuser mit Kunst am Bau, Brunnen in den Straßen und Grüngürtel für das Wohlgefühl. Mitten auf unserer Tour durch die Innenstadt kommt uns plötzlich das Pazifikküstenwetter in die Quere. Ein Wolkenbruch lässt uns in das nächstbeste Café flüchten, statt über die Uferpromenade zu promenieren, auf die die Stadt so stolz ist. In Portland entdecken wir übrigens ungewöhnlich viele kleine, unabhängige Läden und Firmen, wie beispielsweise unser Zuflucht-Café mit fair gehandeltem Kaffee. Studentenstadt, jung und individuell, ein bisschen alternativ, so in etwa kommt uns die Stadt vor.

Von Portland aus geht´s einmal quer rüber ans Wasser. In den nächsten Tagen wollen wir auf dem Highway 101 die Pazifikküste gemütlich entlang gondeln. Immer wieder haben uns andere Reisende und Amerikaner von der Küste vorgeschwärmt. So viele Leute können nicht irren, denken wir uns, und legen los.

Und die Leute haben Recht. Oregons Küste ist abwechslungsreich und eine Reise wert, auch wenn sie uns nicht ganz so einsam und wild erscheint, wie erwartet. Aber anders als in weiten Teilen Kaliforniens ist sie nicht zugebaut, wenn wir auch wesentlich öfter durch kleine Ferien- und Fischerorte kommen, als gedacht.

Dass noch so viel unberührte Küstenlinie vorhanden ist, ist dem Staat Oregon zu verdanken, der vor genau 50 Jahren alle seine Strände per Gesetz zum Allgemeineigentum erklärt hat. Damit wird der private Zugriff verhindert, die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass alles öffentliche Gebiet gleich zum State Park deklariert und somit kräftig reglementiert ist. Da wird es mit lauschigen, wilden Plätzen für die Nacht echt schwierig. Dafür machen die State Parks den Zugang zu Stränden und Buchten möglich, die wir sonst bestenfalls vom Highway 101 sehen könnten. Dort, wo diese Straße die Küste verlässt, gibt es meist eine Alternativroute, um der Wasserkante treu zu bleiben.

Wie gesagt, die Fahrt ist abwechslungsreich. Lange Sandstrände wechseln sich mit schroffer Steilküste ab, raue Klippen rahmen kleine Buchten ein und immer wieder gibt es einzelne Felsen, die äußerst fotogen im Wasser stehen. Zahlreiche Leuchttürme weisen nicht nur den Booten, sondern auch meiner Kameralinse den Weg. Bei Sonnenwetter leuchten die Farben, tiefblaues Meer, ockergelbe Klippen und dazu noch dichter, dunkelgrüner Wald, echte Postkartenidylle.

Einige der Orte entlang des Highways schauen wir uns näher an, jeder davon ist irgendwie anders. Ansonsten halten wir uns eher an die zahllosen Strände und Buchten und Aussichtspunkte und Küstenpfade und, und, und… Da gibt es mehr als genug.

In Seaside, dort, wo wir zum ersten Mal auf den Pazifik treffen, haben wir das Gefühl, in den 50er oder 60er Jahren gelandet zu sein. Ein Badeort wie aus einer anderen Zeit, aber nach wie vor äußerst beliebt.

Das etwas mondän angehauchte Cannon Beach, berühmt für seinen markanten Felsen Haystack Rock, gefällt uns nicht nur seinetwegen. Der ganze Ort ist durchweg sympathisch mit seinen grausilbrigen Schindelhäusern, in denen von Antiquitäten über Leckereien bis hin zu Ferienunterkünften alles zu finden ist.

In Tillamook werden wir kurz der Küste untreu, aber aus gutem Grund. Hier ist die Heimat des Tillamook-Käses, der sich in allen Formen und Farben in jedem Lebensmittelgeschäft quer über den Kontinent findet. Leider fallen gerade wegen Neubau des Besucherbereiches die Werksführungen aus, aber immerhin gibt es noch das Wichtigste, die lange Probiertheke. Wir futtern uns einmal durch die Käsewürfel-Auslage, haben einen Favoriten, drehen zur Sicherheit eine zweite Runde, aber bleiben dabei. „Sharp white“, der soll es sein! Leider mag den außer uns wohl niemand, jedenfalls werden wir ihn nie in einem Supermarkt-Kühlregal wiederfinden…

Übernachtet wird bei der Konkurrenz, einer kleinen, „französischen“ Käserei. Nach der Devise „Ferien auf dem Bauernhof“ können wir hier netterweise frei campen, inklusive Eselgeschrei am frühen Morgen und Hennen-Rennen unter Felix und Albatros.

Zurück an der Küste, drehen wir eine Runde über den „Three Capes Scenic Loop“: Cape Meares mit Leuchtturm, Cape Lookout mit Fernblick und Cape Kiwanda mit einer irre hohen Sanddüne, die erklommen werden will. Oben gibt es zur Belohnung eine wunderbare Aussicht entlang der Küste.

Weiter geht es über die 101, durch das winzige, bunte Depoe Bay und bis nach Newport. Hier sind es hauptsächlich zwei Ecken, die interessieren. Das „historische Viertel“ Nye Beach District und das Hafen- und Touristengebiet um die Bayfront. Aber irgendwie will der Funken nicht recht überspringen. Liegt vielleicht aber auch am ausnahmsweise trüben Wolkenwetter, da wirkt eben alles ein bisschen fad. Aufhellung versprechen nur die bunten Salt Water Taffys aus einem kleinen Bonbonladen. Zum ersten Mal werden wir schwach und probieren uns durch die merkwürdigsten Geschmacksrichtungen der klebrig-leckeren Kaubonbons, die in Oregon an jeder Ecke zu haben sind.

Über das Wetter können wir ansonsten nicht klagen. Es ist Ende September und statt der berüchtigten Küstennebel und Regenschauer genießen wir meist Sonnenschein und T-Shirt-Temperaturen. Eigentlich genau richtig, um in den Dünen abzutauchen. So ein bisschen Sahara-Feeling würde uns gefallen.

Zwischen Florence und Coos Bay breiten sich die Oregon Dunes, ein mehr als 50 Kilometer langer Dünengürtel, aus, einerseits Schutzgebiet, andererseits stellenweise Spielplatz für ATVs, Sandbuggys und was sonst noch auf Rädern durch den Sand brettern kann. Brettern kann Felix im weichen Sand zwar nicht, aber eine Nacht in den Dünen zu campieren, das wäre ja nicht schlecht. Gelegenheit gibt es dazu genügend, wenn auch nur an vorgeschriebenen Plätzen und gegen Bares.

Nur leider gibt es auch viele Regeln. Jedes Fahrzeug, das auf Sand fährt, benötigt zwei Dinge: erstens einen Erlaubnisschein, zweitens eine orangefarbene, normgerechte Flagge. Wer das bei einer Kontrolle nicht vorweisen kann – und kontrolliert wird angeblich rigoros – kriegt ein teures Knöllchen und eine Vorladung vor Gericht, so hören wir. Beides nicht erstrebenswert. Wir überlegen lange hin und her. Und kommen zu dem Schluss: Ach nö, dann eben nicht!

An der 2-Jahres-Genehmigung soll es nicht scheitern, auch wenn wir nur mal einen einzigen Tag in den Sand wollen.

Aber bei der Fahne hört es dann auf. Der kleine Wimpel muss in drei Metern Höhe im Wind wehen, damit das zugehörige Vehikel schon von weitem hinter den Dünenkuppen zu erkennen ist. Macht ja auch Sinn für die kleinen, rasenden ATVs und Buggys. Aber wer sollte einen drei Meter fünfzig hohen LKW übersehen, der sich langsam den Weg zu seinem Übernachtungsplatz irgendwo am Rande der Dünen bahnt?

Und würde da ein Stofffetzen in DIN A4-Größe helfen? Und wo sollte das Fähnchen auf drei Meter Höhe angebracht werden? Hinten? Dann sieht man es von vorne nicht. Vorne? Dann sieht man es von hinten nicht. Und für den ganzen Zirkus nochmals eine Handvoll 10-Dollar-Noten hinblättern? Das ist uns ein Tag Spaß mit Sand unter den Reifen dann doch nicht wert. Also bleibt Felix (offiziell) brav auf Asphalt und wir zwei stapfen ein bisschen zu Fuß in den Dünen herum. Ganz ohne Warnweste, denn davon steht nichts in den Regularien…

Am Cape Arago, in der Nähe von Coos Bay, kriegen wir mal einen kleinen Vorgeschmack auf das „richtige“ Oregon-Wetter, aber selbst bei dicken Regenwolken macht sich die schroffe Steilküste noch gut.

Bandon by the Sea, wenn das mal nicht ein klangvoller Name ist. Der dazugehörige Ort wird dem gerecht, klein, idyllisch, sogar bei grauem Himmel. Und eine Überraschung hält er für uns bereit: Im Vorbeifahren entdecken wir zufällig den Mitsubishi Fuso samt Jens und Susanne. Das letzte Mal haben wir uns in Haines, Alaska, gesehen!

Klar, dass es viel zu erzählen gibt. Also treffen wir uns abends in Port Orford, finden einen schönen Übernachtungsplatz mit Blick auf Hafen und Meer und quatschen bis in die Nacht. Port Orford selbst ist ein kleines Nest, aber ganz groß in Sachen Panorama-Aussichten entlang der felsigen Küste.

Und damit sind wir schon fast auf der Zielgeraden, die Grenze zu Kalifornien ist nicht mehr weit. Auf den letzten Meilen an Oregons Küste soll es wohl noch mal richtig eindrucksvoll werden, schließlich gibt es laut Landkarte gleich zwei sogenannte „Scenic Corridors“. Wir lassen uns überraschen. Aber jetzt ist erst mal der September rum, die letzten „oregonischen“ Meilen gibt es erst im Oktober.