Banner_12-2015_USA_klein

Der Dezember ist da und damit auch die Adventszeit! Felix wird den Möglichkeiten entsprechend weihnachtlich geschmückt und wir können endlich die Türchen unserer beiden Schokoladen-Adventskalender öffnen. Die zwei haben seit Ontario Anfang November zusammen mit echten deutschen Spekulatius und Pfeffernüssen im hintersten Schrank ausharren müssen, seit Ohio haben sich noch Lebkuchen von ALDI dazugesellt. Jetzt kann – streng rationiert, denn die Vorräte müssen bis Weihnachten reichen – losgeschlemmt werden.

Mississippi

Der neue Monat führt uns gleich zu Beginn in einen neuen Bundesstaat, nach Mississippi. Wir entscheiden uns, den Natchez Trace Parkway zu fahren, der von der Nationalpark-Verwaltung entlang eines historischen Handelswegs angelegt wurde. Die Reisenden von heute sollen einen Eindruck bekommen, wie es in grauer Vorzeit gewesen sein muss, als die Natives und später auch die europäischen Siedler durch die endlosen Wälder und Sümpfe zogen, damals ohne Asphalt und auf Schusters Rappen.

Jetzt tauchen wir ein in eine – für heutige Autofahrer – Heile-Welt-Wohlfühl-Oase. Wir rollen gemächlich durch Kiefern- und Sumpfzypressenwälder, die manchmal wie eine Parklandschaft anmuten und manchmal wie Urwald. Keine Lastkraftwagen, keine Ampeln, keine Reklameschilder, nur lange Bärte von Spanischem Moos an den Bäumen und hin und wieder Sumpfgebiete. Eine entspannte Fahrt über mehrere hundert Kilometer, abgeschirmt vom wahren Mississippi-Staat. Aber das macht nichts, denn vom „typischen“ Amerika mit seinen endlosen Gewerbegebieten und gleichförmigen Kleinstädten werden wir in den nächsten Monaten sicher noch genug sehen.

Ein Faltblatt über den Natchez Trace Parkway macht uns auf allerlei geschichtlich Bedeutsames am Wegesrand aufmerksam. Von indianischen Grabhügeln bis zum einzigen verbliebenen Gasthof vom Ende des 18. Jahrhunderts ist alles dabei. Kleine Spazierwege führen uns mitten in die Sumpfzypressen, von morastigem Wasser umgeben, oder zu Aussichtspunkten mit Fernblick über die waldreiche Landschaft.

In French Camp, einem winzigen Dorf, schauen wir uns das hübsche Freilichtmuseum an. Im Grunde besteht das gesamte Dorf nur aus dem Museum und einer Handvoll Häuser ringsherum. Als wir gerade weiterfahren wollen, werden wir wieder einmal auf Felix angesprochen. Ich nutze den kurzen Plausch, um herauszufinden, was es mit der „French Camp Academy“ auf sich hat, deren Name uns mehrfach über den Weg gelaufen ist.

Tim erklärt es uns bereitwillig und freut sich offenbar über unser Interesse, denn am Ende der Unterhaltung haben wir plötzlich eine Einladung in sein Haus und verbringen einen sehr netten Nachmittag mit ihm und seiner Frau.

Tim und seine Frau Leslie sind beide für die French Camp Academy tätig, ein kirchliches Internat für Kinder und Jugendliche, die aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen. Wo nicht die Kinder, sondern die Eltern das Problem sind, um mit Tims Worten zu sprechen.

Auf einer Besichtigungsrundfahrt zeigt uns Tim das ganze Gelände. Schulgebäude, Häuser, in denen die Studenten, wie Tim sie nennt, in kleinen Gruppen wohnen, Werkstätten, Pferdeställe, Sportanlagen. Auch das Freilichtmuseum wird von dem Internat betrieben, sowie die lokale Radiostation und ein Observatorium. Wir sind beeindruckt. Da wollen wir in French Camp nur ein bisschen durch Museumshäuser streifen und lernen eine ganz andere Welt kennen, von der nichts in den Prospekten und Broschüren steht.

Beim gemeinsamen Abendessen in der Mensa, mitten unter den Studenten, Lehrern und Mitarbeitern, bekommen wir einen kleinen persönlichen Einblick in das Internatsleben. Am nächsten Morgen stehen wir, wie vereinbart, im Dorf in der schuleigenen Backstube, Tim hat unseren Besuch bereits angekündigt. Wir werden mit einer Kostprobe von frischgebackenen Keksen empfangen und gehen mit einem ofenfrischen, duftenden Brotlaib. Am Nachmittag trennen wir uns endlich von French Camp, das als kurzer Besichtigungsstopp gedacht war und dank der Offenheit und Freundlichkeit der Amerikaner zu einem tollen Erlebnis wurde, das uns sicher in Erinnerung bleibt.

Für den Abstecher nach Vicksburg verlassen wir den Natchez Trace Parkway. Vicksburg ist eine Stadt von großer geschichtlicher Bedeutung. Im Amerikanischen Bürgerkrieg wurde hier eine entscheidende Schlacht geschlagen, in einem kleinen Laden wurde zum ersten Mal Coca-Cola abgefüllt und für uns hat es insofern historische Bedeutung, als dass wir hier unsere erste amerikanische Christmas-Parade erleben. Bei der ist alles auf den Beinen, was sich auf den Beinen halten kann: Kindergarten, Sportvereine, Rentnerclubs und Oldtimerliebhaber. Hauptsache bunt und laut. Am Schluss winken Santa Claus und Frau, ja, hier hat der alte, bärtige Mann eine bessere Hälfte.

Ansonsten ist Vicksburg eher ein verschlafenes weitläufiges Städtchen, die kurze Haupteinkaufsstraße bis zum Beginn der Weihnachtsparade fast menschenleer, wenigstens finden wir ein Stadtviertel, in dem einige alte Villen überdauert haben und etwas Flair vom „Alten Süden“ verbreiten.

Gegen Vicksburg ist Natchez ein Bilderbuchstädtchen. Hier hat fast der gesamte Stadtkern den Amerikanischen Bürgerkrieg nahezu unversehrt überstanden und der Spaziergang durch die Straßen ist ein Spaziergang durch die Geschichte. Viele prachtvolle Villen, mit Stuck, dorischen Säulen und umlaufenden Veranden ausgestattet, sind erhalten, manche könnten einen Anstrich gebrauchen, aber ihr Charme ist ungebrochen. Selbst einfache Häuser sind mit Stelen und Balkonen ausgestattet und machen allein schon deshalb etwas her. Hier und da ein Schaukelstuhl unter langsam rotierenden, hölzernen Ventilatoren machen das Südstaatengefühl perfekt.

Unterhalb der Stadt, das heißt, unterhalb der Steilklippe, fließt träge der schlammbraune Mississippi dahin. Dort, wo anno dazumal die Schaufelraddampfer Baumwollballen verladen haben, in Natchez-under-the-Hill, werden heutzutage Mengen an Touristen in Hotelschiffen angelandet und zwecks Stadtrundfahrten in Reisebusse verfrachtet. Wir haben Glück und sehen den Schaufelraddampfer „American Queen“ vor Anker, das größte je gebaute Passagierschiff dieser Art. Ich darf sogar kurz an Bord, um ein paar Fotos zu machen.

Louisiana

Nach zwei Tagen haben wir Natchez ausreichend besichtigt und suchen uns weiter im Süden für die Nacht ein einsames Eckchen direkt am Fluss, wollen den Mississippi in Ruhe erleben. Dass am anderen Flussufer die Lichter eines AKW blinken, stört uns nicht weiter, denn ansonsten haben wir das Fleckchen am Ufer, das wir zufällig finden, ganz für uns allein, still und dunkel.

Bis wir durch grelles Scheinwerferlicht und ein schepperndes Getöse aus dem Schlaf gerissen werden. Stephan hat die Lage schneller erfasst, ich brauche einen Moment, bis ich ganz wach bin und Stephan für verrückt erkläre, als er mir zuruft: „Da steht eine Fähre!“

Nein, das, was da im morgendlichen Nebel und in tiefster Dunkelheit direkt vor unserem Schlafzimmerfenster auftaucht, ist keine Fähre, sondern die „American Queen“! Am Vorabend war an unserem Stellplatz nur eine kleine Betonrampe für Motorbötchen zu erkennen, jetzt liegt hier das hell erleuchtete Hotelschiff und schiebt mit irrem Scheppern die Gangway an Land! Total surreal…

Nach dem ersten Schreck und Lachen die Frage: Müssen wir jetzt hier weg? Immerhin stehen wir nur einen Steinwurf von der Gangway entfernt… Aber schließlich ist es noch mitten in der Nacht und stockdunkel, wir sind müde und außerdem waren wir zuerst da. Also drehen wir uns irgendwann um und schlafen, als es draußen ruhiger wird, noch eine Runde, bis am Morgen die Reisebusse kommen, um die Tagesausflügler der gut 450 Hotelgäste abzuholen. Die sehen wir alle später im historischen Viertel des kleinen Städtchens St. Francisville wieder.

Viel interessanter ist aber für mich die Einladung des „Portiers“ der „American Queen“ an Bord des Dampfers. Schließlich sind wir ja seit Natchez alte Bekannte. Diesmal bekomme ich sogar eine Gastkarte und darf mir das ganze Schiff anschauen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Alles wird inspiziert, sogar ans Frühstücksbuffet könnte ich mit der Karte, so sagt mir mein „Freund“, aber das mache ich natürlich nicht, denn Stephan wartet im Felix mit dem Frühstück auf mich. Als ich nach ausgiebiger Besichtigung wieder beim Portier ankomme, werde ich von ihm schon ungeduldig erwartet und ich befürchte, Ärger zu bekommen, weil ich so lange an Bord war. Aber er nimmt mich schnell beiseite, ihm geht es allein darum, etwas über uns und Felix zu erfahren. Schließlich hat er bisher keine Antworten parat auf all die Fragen der Hotelgäste. Derweil verbringt auch Stephan die Wartezeit an Land gut mit Smalltalk. Passagiere, Reiseleiter, Crew, irgendwer spricht ihn immer an.

So hat jede Seite ein unerwartetes „Highlight“ erlebt, die Gäste und Schiffscrew ein seltsames Paar aus Deutschland mit merkwürdigem Vehikel und wir ein beeindruckendes Hotelschiff im wahrsten Sinne „in Nahaufnahme“.

Nächstes großes Ziel: New Orleans. Hier wollen wir nicht unbedingt über Nacht frei stehen, was wir sonst gerne und oft tun, deshalb suchen wir uns einen Campingplatz am Lake Pontchartrain. Hört sich idyllisch an, aber die Zufahrt durch verfallenes Industriegelände stimmt uns skeptisch. Auf dem Platz selber ist aller Zweifel verflogen, wir stehen unter Palmen, der Pool ist nicht fern und das Wetter stimmt. Weiterer Pluspunkt des Campingplatzes: Ein Shuttle mitten in die Stadt hinein.

So landen wir im Herzen des French Quarter und streifen durch die zahlreichen Altstadtgassen mit den berühmten verschnörkelten Balkonen und Eisengittern. In den Markthallen probieren wir unser erstes Gumbo, eine höllisch scharfe Fleisch-Fisch-Suppe der US-amerikanischen Südstaatenküche, und flanieren später über die Promenade am Mississippi entlang.

Am nächsten Tag lassen wir uns mit der alten Tram in den eleganten Garden District fahren – ich habe ja noch nicht genug alte pompöse Villen gesehen. Außerdem können wir dort einen der für New Orleans typischen Friedhöfe besuchen. Wegen der tiefen Lage der Stadt und der damit verbundenen nassen Böden werden die Verstorbenen nicht im Erdreich, sondern in kleinen Mausoleen überirdisch bestattet. Ein letzter kurzer Spaziergang durch das French Quarter rundet unseren Besuch in der Stadt des Jazz ab. Auch diesmal kommen wir ohne nähere Bekanntschaft mit Taschendieben oder anderen dunklen Gestalten, vor denen wir oft gewarnt wurden, durch. Aber zur Sicherheit haben wir unsere Taktik entwickelt: Während ich fotografiere, gibt mir Stephan Rückendeckung und behält die Gegend im Auge. Bei näherem Hinschauen meinen wir schon, den ein oder anderen potentiellen Gauner ausfindig gemacht zu haben.

Nicht weit von New Orleans entfernt haben entlang des Mississippi noch einige prachtvolle Herrenhäuser alter Plantagen überlebt und versuchen, den romantisch verklärten Geist längst vergangener Tage aufrecht zu erhalten. Das wirkt bisweilen kurios, denn der Mississippi ist bei weitem nicht so romantisch, wie gedacht, sondern ein träger Industriefluss, hinter Deichen versteckt und immer wieder von Fabriken und Raffinerien gesäumt. Dazwischen verbreiten die verbliebenen prächtigen Villen der früheren Zuckerbarone ein Gefühl von „Vom Winde verweht“, restauriert und als Museen hergerichtet.

Die vielleicht berühmteste Plantage, „Oak Alley“, schauen wir uns näher an. Das Herrenhaus liegt verborgen am Ende einer bezaubernden Allee aus uralten immergrünen Eichen, ein Bild wie gemalt. Im Herrenhaus sehen wir den Wohlstand, in dem die Familie gelebt hat, während in den noch erhaltenen Sklavenhütten die armselige Kehrseite der Medaille in einer Ausstellung erklärt wird.

Jetzt, im Winter, ist Erntezeit für Zuckerrohr, das auch heute noch auf großen Flächen angebaut wird. Wenn wir diese dicht bewachsenen, struppigen Felder betrachten, können wir uns vorstellen, welche Tortur die Ernte von Hand damals war.

Louisiana hat großen Wasserreichtum, ist von Flüssen und Bächen durchzogen und immer wieder von weitem Sumpfland durchsetzt, durch das die Straßen zum Teil sogar auf Stegen gebaut sind. Wir machen einen Abstecher ins Niemandsland und bummeln entlang eines der Bayous, der unzähligen sumpfigen Flussarme, der von kleinen Hütten und Fischerbötchen gesäumt ist. In Al´s Fischladen gibt es Shrimps aus dem Golf von Mexiko zu kaufen, die wir gleich an Ort und Stelle mit Blick auf die Idylle am Fluss verarbeiten.

Weiter geht es nach Avery Island, wo seit 1868 aus lediglich Essig, Chilischoten und Salz die weltberühmte TABASCO-Sauce hergestellt wird. Das Besucherzentrum ist zwar im Umbau und die Besichtigungstouren entfallen leider derzeit, aber wir bekommen immerhin TABASCO-Fläschchen geschenkt und so war der Besuch trotzdem nicht ganz umsonst. Ob wir dieses scharfe Zeug jemals aufbrauchen, bleibt abzuwarten.

In dem kleinen Städtchen St. Martinville suchen wir gerade einen Parkplatz, als sich plötzlich genau vor unsere, genauer Felix´ Nase ein Auto setzt und dessen Fahrerin auf uns zueilt. Sie ist ganz begeistert von Felix und während wir uns unterhalten, fragt sie, ob wir schon einen Übernachtungsplatz hätten. Falls nicht, könnten wir bei ihr stehen, sie hätte ein großes Grundstück direkt am Bayou Teche. Wir sind überrascht und überrumpelt, aber auch schnell einig, unseren Tagesplan einmal mehr umzuwerfen und uns auf den Spontanbesuch einzulassen. Weiterfahren können wir auch noch morgen.

Also verbringen wir stattdessen unterhaltsame Stunden bei Kathy und ihrem Mann Harvey im Wohnzimmer und eine ruhige Nacht im Felix, von den Hühnern, Hähnen, Gänsen und Eichhörnchen um uns herum einmal abgesehen.

Jetzt zieht es uns aber weiter nach Westen. Es geht gemütlich auf Nebenstraßen durch die fast menschenleere Sumpflandschaft am Golf von Mexiko, die aus der Fahrerhausperspektive eher nach ewig weiter Prärie- und Graslandschaft aussieht. Der Blick schweift ungestört über pfannkuchenflache Ebenen, manchmal blitzt in der Ferne das Blau des Meeres auf. Die wenigen versprenkelten Siedlungen verstärken den Eindruck, am Ende der Welt unterwegs zu sein.

Ab Holly Beach erreichen wir endlich das Meer, der Golf von Mexiko liegt direkt vor uns und wir finden wunderbare Übernachtungsplätze direkt am Strand.

Texas

Irgendwann erreichen wir bei Port Arthur schließlich die Brücke, die einen weiten Bogen hinüber nach Texas spannt. Die Großstadt umfahren wir weiträumig, denn hier schlägt uns gleich Texas pur entgegen: Raffinerien und Industrie ringsumher. Einige Kilometer weiter ändert sich das zum Glück wieder, auf der langen Landzunge Bolivar Island im Golf von Mexiko empfangen uns lange Sandstrände und kleine Ferienorte. Sommerfeeling kurz vor Weihnachten, und Felix freut sich, mal wieder im Sand spielen zu können.

Wir beschließen, die anstehenden Feiertage ruhig und ohne Fahrerei zu verbringen und suchen uns dafür einen Campingplatz auf der nächsten Insel, Galveston Island. Unsere Wahl fällt auf „Jamaica Beach“ im gleichnamigen Ort, wir reservieren für Weihnachten und verbringen die paar Tage bis dahin kreuz und quer auf dem langgezogenen Landstreifen. Es ist warm und sonnig, das Meer immer in Sichtweite und die ganze Insel auf Urlaub eingestellt. Unser Adventsgesteck und die Schneemänner an unseren Fensterscheiben versuchen derweil standhaft, bei uns die Weihnachtsstimmung aufrecht zu erhalten.

Einen Tag wollen wir in der Stadt Galveston verbringen, einer Mischung aus Geschichte und Vergnügungsmeile mit Hafen und Flanierstraße. Eigentlich sehr nett und mit Potential für einen Ganztagsausflug, wenn man mal vom aufziehenden Küstennebel absehen könnte, der uns den Besuch stark verkürzen lässt.

Dann kommt der Zeitpunkt, an dem wir den Nebel nicht mehr „übersehen“ können. Eine dicke wabernde Suppe macht sich für die nächsten Tage auf dem schmalen Eiland breit, die Sonnenstrahlen haben kaum eine Chance. Wir haben uns bisher gefragt, warum alle Häuser hier auf hohe Stelzen gebaut sind, ob es wegen der Stürme oder wegen des Wassers ist. Vielleicht ist es aber auch nur, um über den wohl häufig herrschenden Seenebel hinweg blicken zu können.

Trotzdem verbringen wir schöne Weihnachtstage auf dem Campingplatz, zaubern Heiligabend ein Festmenü unterm Mini-Tannenbaum, gehen am ersten Weihnachtstag sogar im Pool schwimmen. Am Abend sind wir mit einem weiteren Pärchen bei Tom und Ken zum kleinen Weihnachtsempfang eingeladen, einfach nur so, weil wir uns schon tags zuvor gut mit den beiden unterhalten haben. Die zwei kommen aus Ontario, aber wie so viele Kanadier ziehen sie es vor, die kalten und schneereichen Wintermonate lieber am warmen Golf von Mexiko zu verbringen.

Am zweiten Feiertag wollen wir aufbrechen, als uns Günter und Bettina, zwei Reisende, die wir vor Monaten in der kanadischen Provinz Québec kennen gelernt haben, schreiben, dass sie im Laufe des Tages auf Galveston Island eintreffen werden. Das ist ein großer Zufall und es ist klar, dass wir auf die beiden warten. Schließlich gibt es nach so vielen Wochen reichlich zu erzählen und wir sitzen gemütlich bis in die Nacht zusammen.

Am nächsten Tag trennen sich unsere Wege, aber wir verabreden uns für Silvester in dem kleinen deutschstämmigen Städtchen Fredericksburg im Texas Hill Country. Bis dahin ist es noch ein wenig Zeit, die wir unter anderem für einen Besuch bei der NASA in Houston nutzen wollen.

Auf dem Weg dorthin suchen wir uns in einer Kleinstadt einen Übernachtungsplatz auf einem öffentlichen Parkplatz und sitzen gerade beim Abendessen, als ein Sheriff klopft. Wir befürchten, dass er uns wegschicken will, aber nein, er erkundigt sich nur, ob wir mitbekommen haben, dass es in der Nacht heftigen Sturm geben wird. Mit unserem Stellplatz hat er kein Problem, im Gegenteil, wenn irgendetwas wäre, sollten wir die Polizei anrufen und er wäre in einer halben Minute bei uns. Die Polizei, dein Freund und Helfer, auch in den Staaten.

Am nächsten Tag geht es zum Besucherzentrum der NASA, das mit zahlreichen Ausstellungen und Filmvorführungen aufwartet. Per Bummelbähnchen fahren wir zur historischen Bodenkontrollstation, zum Rocket Park mit Saturn V Rakete und, eine Seltenheit, per Bus zum außerhalb gelegenen NASA-Unterwasser-Trainingscenter.

In dem riesigen Wasserbecken trainieren die zukünftigen Astronauten an 1:1-Modellen von Modulen der ISS in der „Schwerelosigkeit“ die nötigen Handgriffe für Außenreparaturen und anderes und wir können von der Besucherplattform dabei zuschauen. Auch ein ganzer langer Tag bei der NASA reicht nicht aus, um alle Touren mitzumachen und alles zu sehen, aber wir haben unser Bestes gegeben und sind am Abend ganz schön geschafft.

Zum Glück finden wir in einer nahen Wohnsiedlung ein Plätzchen für die Nacht. Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg durch Houston, als uns nach einigen Kilometern auf der Stadtautobahn ein Polizeiwagen zum Anhalten auffordert. Der freundliche Sheriff will nach den Fragen zu uns und unserem Fahrzeug wissen, ob wir zufällig über Nacht an einer Kirche gestanden hätten. Haben wir. Und wundern uns über die Frage. Des Rätsels Lösung: Aus der Nachbarschaft hat jemand die Polizei wegen eines suspekten Vehikels gerufen und der Officer hat uns „verfolgt“, um der Sache auf den Grund zu gehen… Die Polizei, Hüterin von Recht und Ordnung, erst recht in den Staaten.

Von Houston fahren wir recht zügig nach Austin, die Hauptstadt von Texas, wenn sie auch nicht in der Liga der ganz Großen (Städte) mitspielt. Weite Grünflächen säumen den Colorado River, der sich mitten durch die Stadt schlängelt, direkt am Flussufer erhebt sich die Skyline, hinter der sich das State Capitol und das weitläufige Universitätsgelände verstecken. Im Zentrum ist alles übersichtlich und nett und gut zu Fuß zu erkunden. Am nächsten Tag sehen wir, dass die Parkanlagen abgeriegelt werden, klar, die Vorbereitungen für das Silvesterfeuerwerk laufen auf Hochtouren. In Texas ist Feuerwerk anscheinend generell sehr beliebt, entlang der Landstraßen überbieten sich die zahllosen Verkaufsbuden mit verlockenden Angeboten: Kauf 1, bekomm 10 umsonst dabei!

Wir sind schon gespannt, was uns zum Jahreswechsel im „deutschen“ Fredericksburg erwartet und freuen uns darauf, mit Bettina und Günter in das neue Jahr zu starten. Lecker essen gehen, Feuerwerk schauen und auf das Reisejahr 2016 anstoßen, das wird sicher schön.

Denkste!

Wir können es kaum glauben, aber am Silvesterabend sind die Restaurants im Ort geschlossen. Dann, wir können es noch viel weniger glauben, erfahren wir, dass im gesamten Stadtgebiet Feuerwerk verboten ist! Wo, um Himmelswillen, sind wir hier gelandet?! Ganz Texas feiert und wir suchen genau das Städtchen aus, in dem der Hund begraben ist! Silvester ohne Knallerei! In einer „deutschen“ Stadt!

Was hilft es, wir bleiben auf dem Campingplatz, werfen unsere Essensvorräte zusammen und machen uns einen gemütlichen Abend zu viert.

Lassen wir also das aufregende und teils turbulente Jahr 2015 in aller Ruhe und Besinnlichkeit ausklingen und das sicher nicht minder spannende 2016 irgendwo in einem kleinen Städtchen mitten im riesengroßen Texas beginnen.