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Ontario

Halloween in der Waschküche zu verbringen, zahlt sich aus: Wir starten bei blitzeblankem blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein in den November.

Unser erstes Ziel im neuen Monat ist die Gegend um Waterloo-Kitchener, Ontario. Es heißt, in dem Umland sind viele Deutschstämmige beheimatet, insbesondere Mennoniten, die ihr Leben und ihre Lebensweise streng dem Glauben unterordnen und unter anderem auf jegliche moderne und technische Errungenschaft verzichten.

In diese Welt möchten wir wenigstens einen klitzekleinen Einblick bekommen, denn es beeindruckt uns, wie konsequent diese Gemeinschaft dem einfachen Leben wie vor hundert Jahren verbunden bleibt, was sich nach außen hin in schlichter Kleidung mit Haube und Schürze ausdrückt, aber auch in der traditionellen Arbeitsweise mit Pferd und Pflug. Wir stellen uns das nicht gerade einfach vor, in der technisierten und schnelllebigen Umwelt. Vielleicht liegt in dieser Schwierigkeit auch der Grund dafür, dass die Mennoniten zurückgezogen leben und unter sich bleiben. Zumindest ist dies unser Eindruck, denn im öffentlichen Leben ist diese Gemeinschaft kaum präsent.

Die Gegend ist geprägt von der Landwirtschaft, zahlreiche Bauernhöfe schmiegen sich in das leicht hügelige Land, Felder und Weiden, wohin man schaut. Hier und da eine schwarze Pferdekutsche neben dem Wohnhaus verrät, dass auf diesen Höfen eine mennonitische Familie lebt. Oft werden die dort erzeugten Produkte direkt verkauft, entsprechende Hinweisschilder stehen am Straßenrand, meist mit dem Zusatz „no sale on Sunday“. Der Sonntag gehört dem Herrn und der Familie. Unüblich für Amerika, dem Kontinent der unbegrenzten Öffnungszeiten, dass auch die Geschäfte am Sonntag geschlossen sind.

In Elmira, der größten Stadt im Umkreis, machen wir Station und müssen erkennen, dass wir mit einem Sonntag wirklich nicht den besten Tag erwischt haben. Menschenleere Straßen, „closed“-Schilder in den Ladenfenstern, nicht einmal ein Café finden wir. Eine typische ländliche Klein(st)stadt, aber am Sonntagnachmittag auch ein bisschen „Geisterstadt“.

Am nächsten Tag lassen wir uns durch die Gegend treiben, gondeln kreuz und quer durch Heidelberg, Mannheim, Bamberg, Baden. Wer jetzt stutzt: ja, die Orte heißen hier wirklich so, der deutsche Einfluss lässt sich nicht leugnen, aber sie haben nicht wirklich etwas mit den Originalen gemein. Im Grunde genommen bestehen sie aus einer großen Kreuzung zweier Landstraßen, an der sich ein paar Wohnhäuser und die nötigsten Lädchen aufreihen.

In St. Jacobs wollen wir den bekannten und großen Farmers Market besuchen und sind froh, dass er – laut Internetseite – an drei Tagen in der Woche geöffnet hat. Der Dienstag passt perfekt für uns, doch merkwürdig, dass zur angegebenen Zeit das ganze Gelände so leer ist… Die Lektion: Glaube nie, was im Internet steht; dort fehlt leider der Hinweis, dass sich der Markt außerhalb des Sommers auf die Wochenenden beschränkt…

Aber das Wetter ist toll und wir sind ja spontan und ändern unsere Pläne. Verschieben wir den Marktbesuch eben auf Samstag und fahren in der Zwischenzeit die rund 150 Kilometer bis zu den Niagarafällen.

In Niagara Falls, der Stadt zu den Wasserfällen, angekommen, stellen wir fest, dass wir außerhalb jeglicher Saison unterwegs sind. Riesige Parkplatzflächen mitten im Ort, alle fast leer, im Sommer sieht das hier sicher anders aus. Jetzt aber parken und übernachten wir mittendrin, direkt unter dem Skylon Tower, dem rund 160 Meter hohen Aussichtsturm.

Unser Rundgang führt uns zuerst ans Flussufer, an dem wir von einer schönen Promenade aus tolle Ausblicke hinüber zu den US-amerikanischen Fällen haben und ein Stück weiter in den donnernden, dampfenden Kessel der kanadischen Horseshoefalls. Dank der strahlenden Sonne sehen wir immer wieder Regenbogen in der aufsteigenden Gischt schimmern, wahrer Postkartenkitsch aber schön.

Auf der Promenade oberhalb der Wasserfälle kommen wir so nahe an diese heran, dass wir sogar dort mitten im Sprühnebel stehen und durch Pfützen laufen müssen. Die „Maid of the Mist“ und ihre kanadische Kollegin sehen von hier oben wie Spielzeugbötchen aus, verschwinden fast in der Gischt.

Wir wollen auch noch etwas näher an das Wasser heran und begeben uns „behind the falls“, stehen einmal direkt neben den donnernden Wassermassen der Horseshoefalls und dann – in einem in den Fels geschlagenen Tunnel – sogar auf deren Rückseite. Aber noch nicht genug, als nächstes geht es auf den Skylon Tower hinauf. Von dort haben wir eine tolle Aussicht über die beiden Wasserfälle, den Fluss, die Stadt.

Die Stadt ist so ein Thema für sich. Warum auch immer, hat sich hier eine Mischung aus Kirmesplatz und Disneyland entwickelt, ein krasses Kontrastprogramm zu der zum Glück noch halbwegs erhaltenen natürlichen Schönheit der Wasserfälle. Aber, wie bereits festgestellt, sind wir völlig neben der Saison und abends ist kaum ein Mensch auf der Vergnügungsmeile zu sehen.

Dass kaum jemand auf den Straßen unterwegs ist, macht sich auch ein Einheimischer zunutze. Wir sind gerade eingeschlafen, da hört Stephan ein merkwürdiges Geräusch am Felix. Beim Blick aus dem Fenster sieht er jemanden wegradeln und es ist Ruhe. Am Felix scheint alles in Ordnung zu sein, Klappen und Staufächer sind, soweit wir sehen, geschlossen.

Ein paar Minuten später wieder Geräusche und jetzt wird Stephan am Fenster plötzlich laut. Denn ein Unbekannter krabbelt unter dem Felix hervor, völlig erschrocken, dass sich im Wagen jemand aufhält. Er hat sich wohl nur gesorgt, von keinem Passanten auf dem Parkplatz entdeckt zu werden, aber ein brüllender Stephan oben am Schlafzimmerfenster bringt ihn nun völlig aus der Fassung. Wir hören nur ein „holy shit“ und weg ist er.

Er hat sich, wie wir im Dunkeln feststellen können, an unseren Fahrrädern unter der Schutzplane zu schaffen gemacht. Und, wie wir erst richtig am nächsten Tag sehen, schon ganz schön weit vorgearbeitet. Das erste Schloss ist zumindest schon mal fachmännisch gekappt und die weiteren Sicherungen in Arbeit. Damit haben wir dann die im wahrsten Sinne des Wortes flüchtige Bekanntschaft mit dem ersten schwarzen Schaf unter den vielen netten und hilfsbereiten Kanadiern gemacht.

Doch das kann uns nicht die drei schönen Tage, die wir an dem Naturspektakel verbringen, vermiesen. Wir genießen es, alles in Ruhe und ohne Touristenströme anschauen zu können, denn die Wasserfälle sind wirklich beeindruckend, ob im Sonnenlicht oder in der Nacht mit bunter Beleuchtung. Auf das abendliche Feuerwerk müssen wir allerdings verzichten, sind eben off-season, aber das macht uns nichts aus.

Auf dem Rückweg von Niagara Falls nach St. Jacobs machen wir einen kleinen Umweg über das kleine, zwar touristisch angehauchte aber hübsche Niagara-on-the-Lake, ein kleines Städtchen mit Sommerfrische-Charakter. Vorher statten wir einem Schmetterlingshaus, das an der Strecke liegt, einen Besuch ab.

Zurück in St. Jacobs, stehen wir über Nacht auf dem Walmartparkplatz, hier können wir bei freiem Internet mal wieder E-Mails abrufen. Und das ist auch gut so, denn wir sehen eine zwei Tage alte Mail von Angela und Claudio, den beiden Schweizern, die wir vor Monaten in Neufundland kennen gelernt haben. Ich höre Stephan quieken „Die sind in Guelph!“ und hänge sofort an der Tastatur, um schnell zu antworten, schließlich ist der Ort von uns gesehen „um die Ecke“. Wir wissen, dass die beiden kurz vor der Heimreise stehen und dies sicher die letzte Möglichkeit ist, die zwei noch einmal zu sehen. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen.

Und tatsächlich, Claudio und Angela sind noch in der Nähe und wir verabreden uns auf dem Farmers Market, bummeln durch die Hallen und Marktstände und sitzen am Abend lange und gemütlich zusammen. Jetzt erweist es sich als großes Glück, dass der Markt am Dienstag geschlossen ist, sonst wären wir nicht mehr in St. Jacobs gewesen, sondern über alle Berge, und hätten die beiden glatt verpasst.

Am nächsten Tag verabschieden wir uns, für die beiden ist bald das über zweieinhalbjährige „Abenteuer Auszeit“ vorüber. (Wer neugierig ist, kann unter www.abenteuer-auszeit.ch ihre Reise entdecken.) Hoffentlich sehen wir die zwei einmal wieder, vielleicht ja in der Schweiz?!

Zwei Tage später folgt für uns der nächste Abschied. Nach ein paar Hundert Kilometern Richtung Westen kommen wir in Windsor an und uns trennen nur noch eine Brücke, eine Zollinspektion und der Immigration Officer der USA von unserer nächsten großen Reiseetappe.

Jetzt heißt es nach vier tollen Monaten „Good bye, Canada“, bis im nächsten Frühjahr. Auf geht es in die United States of America!


Reiseroute im November 2015, Teil 1, zum Download:

Reiseroute_November#1_2015