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British Columbia

An einem verregneten Sonntag im Oktober in aller Herrgottsfrühe in eine kanadische Holzfällerhochburg zu fahren, ist keine so gute Idee. Es ist trostlos. Die einzigen Leute, die wir auf der Straße sehen, machen den Eindruck, als ob sie ausschließlich dort anzutreffen wären. Und die Stadt selber ist alles andere als eine Schönheit. Aber hier in den Wäldern British Columbias zählt eben nicht so sehr die Optik, sondern vielmehr die Funktionalität.

Und als Versorgungsstopp funktioniert Prince George, kurz PG, ausgesprochen gut. Sie ist die größte Stadt auf weiter Flur und daher bestückt mit allen Geschäften und Ladenketten, die man braucht. Im nächsten Jahr werden wir hier noch mal Station machen und unsere Vorräte auffüllen, wenn es Richtung Yukon und Alaska geht. Für dieses Jahr jedoch haben wir mit PG erst mal unseren nördlichsten Punkt erreicht.

Jetzt ist es an der Zeit, wieder Richtung Süden zu fahren. Das Wetter wird ungemütlich, die Provincial Parks fallen schon in den Winterschlaf und im Gegensatz zum Osten Kanadas, wo das bunte Herbstlaub leuchtet, bleibt es hier im Westen im Nadelwald grün.

Wir passieren kleine Ortschaften wie 150 Mile House, 100 Mile House und 70 Mile House, bis wir in Lillooet bei Meilenstein 0 angekommen sind. Die Orte mit den praktischen Namen stammen noch aus der Zeit des Cariboo Goldrausches, als die Glücksritter von Lillooet aus in die Wildnis vordrangen und findige Leute ein gutes Geschäft mit Rasthäusern in Tagesetappenentfernungen entlang der Route machten.

Lillooet ist ein nettes, übersichtliches Städtchen hoch über den Ufern des Fraser River, eingerahmt von hohen Bergketten, die sich meist in dunkle Wolken hüllen, doch wir bleiben gleich ein paar Tage. Vom Bahnhof aus zuckelt täglich ein Bummelzug am Seton Lake entlang bis in ein kleines, abgelegenes Dorf der First Nations. Doch nur am Freitag besteht die Möglichkeit, am gleichen Tag hin und zurück zu fahren.

Wir überlegen nicht lang und machen diese „Panoramafahrt“ mit. Zwischen See und Berghängen reicht der Platz gerade für einen Schienenstrang, der Zug rattert gemächlich um die engen Kurven, der Lokführer hält schon mal an, wenn irgendwo ein wildes Tier zu sehen ist und auch außerplanmäßig vor seiner eigenen Haustür, weil er morgens sein Handy vergessen hat.

Am Seton Lake finden wir einen tollen Campingplatz, den der Energieversorger BC hydro kostenfrei zur Verfügung stellt. Dort treffen wir Justin und Jennifer aus Australien, die seit 2 ½ Jahren mit ihrem Nissan Patrol und „Klappbox“ durch die Welt touren. Zu viert machen wir uns einen gemütlichen Nachmittag in unserer Sitzecke, futtern Pumkin Pie, den ich eigentlich für Thanksgiving beim Bäcker gekauft hatte, und quatschen stundenlang, während der Regen unablässig auf das Dach prasselt.

Von Lillooet aus nehmen wir die Duffey Lake Road durch die wunderschöne Berglandschaft der Coast Mountains. Oben auf dem Pass hat es schon geschneit, der Winter kommt mit großen Schritten.

Im bekannten Olympia-Skiort Whistler sind die Zeichen aber noch auf Sommerbetrieb gestellt. Wir sind gerade am letzten Wochenende der Mountainbike-Saison dort und bei dem schönen Wetter sind die Schlangen vor den Liftanlagen entsprechend lang. Whistler gefällt uns sehr, ist zwar alles irgendwie aus der Retorte, aber schön gemacht, auch für die, die nur zum „Bummeln“ statt „Brettern“ kommen.

Über den vielversprechenden Sea to Sky Highway nähern wir uns dem Pazifik und damit der Metropole Vancouver. Es ist wirklich eine tolle Fahrt, für uns in „Sky to Sea“-Richtung. Doch kaum am Wasser angekommen, kommt dieses Element leider auch schon wieder von oben.

Vancouver im Regen reizt uns im Moment nicht so sehr, aber wir haben ja auch noch wichtigere Dinge zu tun, zum Beispiel einen Überwinterungsplatz für Felix finden. Wir nehmen Kontakt zu John auf, ein Unimog-Fahrer, den wir im Yellowstone National Park haben vorbeiflitzen sehen, und ein guter Freund von Bill und Kathleen aus San Diego. Auf seiner Farm außerhalb von Vancouver verbringen wir ein paar Tage und freuen uns, als er uns anbietet, dort Felix über den Winter zu beherbergen. Felix wird in den Monaten zwar draußen stehen, aber dort ist er sicher und gut aufgehoben, was wollen wir mehr. Außerdem ist der Winter in der Gegend um Vancouver eher mild, also sollte es Felix draußen nichts ausmachen.

Ganz in der Nähe von John besuchen wir das Fort Langley, die Geburtsstätte der Provinz British Columbia. Im Sommer ist hier richtig was los, einschließlich kostümierter Park Ranger, doch jetzt geht auch hier die Saison spürbar dem Ende zu.

Inzwischen ist die zweite Oktoberhälfte angebrochen, trotzdem wagen wir noch den Sprung auf die Insel, Vancouver Island. Auf dem Weg zur Fähre legen wir einen kurzen Stopp bei Mark und Lorna ein, die wir im letzten Herbst in Neufundland kennengelernt haben. Dass es über ein Jahr dauern würde, bis wir bei ihnen vor der Haustür vorbei kommen, konnten wir alle damals noch nicht ahnen. Das ist das Schöne an Langzeitreisen: es kommt immer anders, als man denkt.

Von Tsawwassen aus ist es mit der Fähre ein einstündiger Hüpfer hinüber nach Vancouver Island. Zunächst geht die Reise ganz in den Süden, in die „Hauptstadt“ der Insel und von British Columbia: Victoria, altehrwürdig, very british, maritim und sonnig.

Mittelpunkt ist der große Hafen, der auch gleichzeitig Flughafen für die Wasserflugzeuge ist. Hier legen die Fähren in die USA ab, aber auch Yachten dümpeln an den Stegen und zwischendurch flitzen die kleinen bunten Wassertaxis. Gleich hinter dem Hafenbecken und der Promenade ragen die alten Gemäuer des noblen Empress Hotels und des Parlamentsgebäudes auf und ein paar Straßen weiter sind wir schon in der geschäftigen Innenstadt angekommen.

Besonderes Flair hat „Float Home Village“, ein Sammelsurium aus kleinen, bunten, schwimmenden Häusern im Victoria Harbour. Was ein bisschen wie Aussteiger-Siedlung aussieht, hat indessen seinen Preis, wie generell Wohnen in Victoria und vor allem Vancouver inzwischen unbezahlbar ist.

Von Victoria aus begeben wir uns auf den „Port Renfrew Loop“, der zunächst entlang der südlichen Küste bis in das kleine verschlafene Nest Port Renfrew führt und später durch das waldreiche Inselinnere am Lake Cowichan vorbei bis in die Stadt der Totempfähle, Duncan.

Auf der Küstenstraße wird es schnell einsam, wir kurven durch die Wälder und versuchen immer wieder, auf abenteuerlichen Zufahrten ans Wasser zu kommen. Durch dichten Regenwald laufen wir zu einsamen, mit Treibholz und Algen übersäten Sandbuchten, von hohen Klippen eingerahmt. Bei Ebbe bleiben in den Felsen ringsum Gezeitenpools zurück, die uns einen Einblick in die Unterwasserwelt geben.

Hinter den Buchten ragen gleich die dichten Regenwälder empor, für die Vancouver Island bekannt ist. Wir fühlen uns wie im Urwald. Dunkelheit umfängt uns, überall tropft und nebelt es, die Baumstämme und Äste sind von dichtem, sattgrünen Moos ummantelt, Flechten baumeln von den Zweigen, Farne bedecken den feuchten Waldboden. Irgendwie verwunschen und urig.

Aber der Regenwald entsteht nicht von ungefähr. Es regnet sehr viel. Und ab Oktober regnet es eigentlich fast ständig. Das müssen auch wir leider erfahren. Wir hätten auf die Kanadier hören sollen. Schließlich sind wir schon vorgewarnt worden, dass hier von der „Wet Coast“ gesprochen wird, nicht der West Coast. Was so ein kleiner fehlender Buchstabe doch für einen Unterschied macht. Nach drei recht schönen Tagen auf der Insel fängt der Regen an und hört nicht mehr auf.

Eine Woche lang schauen wir uns den Dauerregen mit sinkender Stimmung an. Die Wälder, die Seen, die Totempfähle von Duncan, alles versumpft im nassen Grau. Dann ergreifen wir die Flucht, nee, so macht das hier keinen Spaß mehr. Und besser wird es im November sicher auch nicht. Ab März soll die Regenzeit langsam ausklingen, so sagen die Kanadier. Hoffen wir, dass sie auch damit Recht haben, und verschieben wir die Inselrundreise auf das nächste Frühjahr.

Jetzt geben wir lieber noch einmal Gas und versuchen unser Glück ein paar hundert Kilometer landeinwärts. Über den Crowsnest Highway geht es bergauf und bergab über diverse Pässe, immer weiter gen Osten. Und je weiter wir Richtung Osten kommen, desto besser wird das Wetter. Im Städtchen Hope hängen noch die dicken Wolken in den hohen Bergen fest, in Keremeos hingegen leuchten die Äpfel und Kürbisse an den Obstständen in der Sonne. Und schmecken tun sie!

Ziel unserer Flucht in das Landesinnere ist das Okanagan Valley, das Stephan irgendwie an den Gardasee erinnert. Hier wächst der Wein, gedeihen die Obstbäume, zählt man die meisten Sonnenstunden im Jahr. Vielleicht tut Petrus uns ja den Gefallen und beschert uns in diesem Tal noch einen letzten Rest von goldenem Herbst.

An Halloween, dem letzten Oktobertag, erreichen wir die kleine Stadt Penticton, am Südende des Okanagan Lake gelegen. Noch ist es eher trübe, aber das passt ja irgendwie zu der Gruselnacht, die uns bevorsteht. Ab morgen ist es bestimmt besser!