Utah

Gleich zu Beginn des Monats geht es mit uns kräftig bergab.

Nach der Rückfahrt vom Lake Powell biegen wir nach Süden ab und stehen plötzlich am Abgrund. Das Hochplateau endet abrupt und vor uns breitet sich in der Tiefe endlose Wildwest-Landschaft aus. Hinunter geht es über den Moki-Dugway, der in zahlreichen Kehren die 400 fast senkrechten Höhenmeter überwindet. Eigentlich raten unübersehbare Schilder von der Abfahrt mit Reisemobilen ab, denn 10 Prozent und mehr Gefälle sowie enge, ungesicherte Kurven machen es nicht gerade leicht. Aber meine beiden Jungs, der eine hinterm Lenkrad und der andere mit den vier Reifen, machen das schon. Ich bin derweil vollauf damit beschäftigt, die spektakulär schöne Abfahrt mit der Kamera festzuhalten.

Unten angekommen, biegen wir gleich in das Valley of the Gods, ein eher nicht so bekannter Geheimtipp, ab. Wir sind begeistert. Keine Parkgrenzen, kein Eintritt, kein touristischer Rummel, keine vollgeparkten Aussichtspunkte. Einfach nur grandiose Landschaft, die wir fast für uns allein haben. Das Valley of the Gods braucht sich wirklich nicht hinter dem berühmten Monument Valley verstecken.

Wir schaukeln gemütlich über die raue Sand- und Schotterpiste wie auf einer Achterbahn auf und ab und können uns gar nicht an den roten Felsen um uns herum sattsehen. Und weil es so schön ist, beschließen wir kurzerhand, über Nacht zu bleiben. Stühle raus, Kaltgetränk in die Hand und einfach nur die Aussicht genießen.

Wenn jetzt noch der Marlboro-Mann vorbeigeritten käme, würde uns das nicht wundern…

Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel Monument Valley legen wir einen Stopp am Goosenecks State Park ein. Hier hat der San Juan River ganze Arbeit geleistet und eine tiefe Schlucht ins Plateau gegraben. Nun windet er sich gleich in mehreren engen Schleifen durch den Fels. Das Weitwinkelobjektiv kann da nur kapitulieren.

Und in Anbetracht unseres Übernachtungsplatzes direkt an der Kante des Canyons kommt mir flüchtig der Gedanke, dass man hier besser kein Schlafwandler sein sollte…

Dann ist unsere Utah-Runde fast beendet. Über das kleine Wüstenkaff Mexican Hat rollen wir der Arizona-Grenze entgegen.

Arizona

Kurz hinter der Utah-Arizona-Grenze erreichen wir DAS Synonym für den Wilden Westen: das Monument Valley.

Nachdem wir am Eingang zum Monument Valley Navajo Tribal Park den Eintritt entrichtet haben, bekommen wir den Plan vom Tal in die Hand gedrückt und sind irritiert: Busse und Wohnmobile sind auf der 27-Kilometer-Rundstrecke nicht erlaubt. Vor zehn Jahren ging das doch noch?!

Jetzt haben wir den Hinweis auf dem Lageplan „aus Versehen übersehen“ und machen uns auf den Weg. Meine Güte! So übel hat die Piste vor 10 Jahren noch nicht ausgesehen, das hätte unser Miet-Wohnmobil damals nicht schadfrei überstanden. Eigentlich würde Allradlers Herz hier höher schlagen, aber uns nervt es eher. Vor lauter Durchrütteln können wir uns kaum auf die weltberühmte Landschaft aus roten Tafelbergen und Felsmonolithen konzentrieren.

Schicke Mietcabrios bahnen sich mühevoll ihren Weg, was der Vermieter wohl dazu sagen würde, wenn er es wüsste?! Navajo-Jeeps rumpeln uns mit ihrer Touristenladung entgegen, die Fahrgäste auf den offenen Ladeflächen schauen dabei nicht gerade fröhlich. Kein Wunder, wir würden auch nicht gern in der dicken Staubwolke sitzen, die starker Wind und sandige Piste gemeinsam erschaffen.

Auch wenn der Besuch im Monument Valley nicht ganz so entspannt wie erhofft verläuft, freuen wir uns am Ende dennoch, noch mal die berühmten Bilder in natura gesehen zu haben.

Gemütlicher geht es im Canyon de Chelly zu. Dieses National Monument ist zwar recht abgelegen, aber der Abstecher ist uns noch als Tipp von Reisefreunden in Erinnerung. Bis zu 300 Meter fallen die roten Felswände senkrecht hinab und beim Blick über die Kante tut sich auf dem pfannkuchenflachen Boden der Schlucht eine wahre Miniaturlandschaft auf: Felder, Wiesen, kleine Farmen, herbstlich leuchtende Bäume.

Am Ende der Parkstraße erreichen wir den Spider Rock, auf dem der Legende nach die große böse Spinne hockt und alle unartigen Kinder zur Strafe verspeist. Da soll noch mal einer über unseren Knecht Ruprecht schimpfen…

Vorbei am Hubbell Trading Post, historischer Handelsposten aus der Zeit der weißen Besiedlung, rollen wir weiter, dem Petrified Forest National Park entgegen.

Mitten in der endlos weiten Wüste Arizonas eröffnet sich ein Einblick in Urzeiten, als die Gegend noch dicht bewaldetes Schwemmland war, voller Reptilien, Amphibien und kleinerer Saurier. Also verdammt lang her.

Was dann geschah, versuche ich mal im Zeitraffer zusammenzufassen: Baum fällt, Schlamm drüber (schön luftdicht und verrottungssicher), kieselsäurehaltiges Wasser hinein. Ja, und dann muss man nur lange genug warten, und schon ist das Holz komplett durch Quarz und andere Mineralien ersetzt. Voilà, ein versteinerter Baum. Erosion legt ihn wieder frei und der Nationalparkservice stellt ihn unter Schutz, damit sich noch möglichst viele Generationen an seinen Regenbogenfarben erfreuen können.

Denn dieses bunte Gestein findet sich auf Hochglanz poliert in zahlreichen Andenken-Läden und wohl auch Wohnzimmervitrinen, aber zum Glück gibt es den Nationalpark, durch den große „Wälder“ für die Nachwelt geschützt bleiben.

Genau so bunt wie die Baumstämme treiben es die „painted dunes“ im Nordteil des Parks, eine tolle, knubbelige Landschaft voll verschiedenfarbiger Gesteinsschichten, die ebenfalls durch Wind und Wasser Stück für Stück freigelegt wurden.

Zurück aus der Urzeit, rein in die Gegenwart, jedenfalls so in etwa. Kennt jemand Winslow, Arizona? Wir bis vor kurzem auch nicht. Dabei ist die Stadt weltbekannt. Zumindest, seit die Gruppe „Eagles“ sie in „Take it easy“ erwähnt hat. Jetzt stehen auch wir an der „Corner in Winslow, Arizona“ und kriegen zum ersten Mal einen Hauch vom Route-66-Feeling mit. Das wird in den nächsten Wochen noch schlimmer, aber zwischendurch bremsen ein paar Natur- und Kulturwunder den Nostalgie-Trip. Arizona ist aber auch vollgepackt mit Highlights!

Nächste Station: Flagstaff, Route-66-Stadt mit überaus freundlicher Historic Downtown voll alter Backsteinfassaden, hinter denen sich Kneipen, Alternativ-Lädchen und allerlei anderes verbergen. Gefällt uns ausnehmend gut, und dabei hatten wir vorher gar keine Meinung zu der Stadt.

Von Flagstaff aus machen wir einen Abstecher in die Stadt Sedona, die man wohl gesehen haben muss, schenkt man Reiseführern und Prospekten Glauben. Sedona zieht zahlungskräftige Klientel an mit schicken Galerien und Boutiquen im Ort drin und schöner roter Felsenlandschaft um den Ort außen herum. Irgendwo schnappe ich den Slogan „Sedona – Beverly Hills on the Rocks“ oder so ähnlich auf. Könnte passender nicht sein.

Nach den Wochen in Utah ist „Rot“ für uns zwar nichts Neues mehr, aber Arizona scheint auf diese landschaftliche Ausnahme hier – zu Recht – stolz zu sein.

Und wo wir schon mal in Sedona sind, schauen wir uns auch noch ein bisschen näher in der Gegend um. Die überrascht uns, denn kaum haben wir die Stadt verlassen, ist es auch mit der besonderen Landschaft vorbei, Arizonas weite Wüstentäler haben uns wieder.

Auch die Ortschaften, durch die wir kommen, sind nett, aber recht unspektakulär. Wenn Cottonwood nicht gerade das alljährliche Straßenfest begehen würde, wäre es genau so verschlafen, wie sein Nachbar. Wir haben den Eindruck, dass am Montezuma Castle National Monument, obwohl es nur eine kleine Ruine ist, fast noch am meisten Betrieb herrscht.

Jetzt aber schnell Richtung Grand Canyon! Denken wir uns, und machen dann doch noch erst einen Schlenker. Im Doppelpack gibt es Natur und Kultur, denn gleich zwei Nationalmonumente liegen am Weg.

Zuerst die Natur: Im Sunset Crater Volcano National Monument steht der namensgebende Schlackenkegel im Mittelpunkt, eingebettet in weitläufige Lava- und Vulkanlandschaften. Seit 1250 gibt der kleine Vulkan Ruhe, hat es aber trotzdem in die Reihe der Nationalparks geschafft. Wir fühlen uns wie in „Klein-Island“, ausnahmsweise grauer Himmel, dazu graue Schlacke, schwarze Lava. Ein bisschen trübe, aber trotzdem interessant.

Dann die Kultur: Im Wupatki National Monument treffen wir auf Überreste prähistorischer Kulturen, die diese Gegend bereits vor einigen Jahrhunderten besiedelt haben, insbesondere nach den Ausbrüchen des Sunset Craters. Da hat womöglich die Ascheschicht die kargen Böden fruchtbar gemacht. Jetzt ist ringsum wieder nur Ödnis zu sehen, aber einige der Pueblos sind zugänglich, während uns der allergrößte Teil an archäologischen Fundstätten in den Weiten der Landschaft verborgen bleibt.

Apropos „Weiten der Landschaft“. Jetzt sind wir wieder beim Thema: der Grand Canyon.

Was soll ich sagen, ganz schön beeindruckend, die Schlucht. Sogar an den ersten beiden Tagen, an denen noch der Rauch der Waldbrände vom Nordrand in den Tiefen wabert. Und erst recht, als die Luft wieder rein und die Sonne wieder voll da ist.

Manchmal ist in der Tiefe ein Stückchen grünschimmernder Colorado River zu sehen, das hilft, die Dimensionen zu begreifen. Ansonsten verliert sich der Blick leicht in den verzweigten Schluchten und Seitenarmen. Der Canyon erreicht über zahlreiche Terrassen in Rot, Weiß und Ockergelb immerhin eine Tiefe von rund 1.600 Metern, das muss man sich erst mal vorstellen.

Jede Menge Aussichtspunkte, ob mit Felix oder nur per pedes zu erreichen, lassen uns ständig tief blicken. Und weit. Ist schon ein ganzes Stück bis zur anderen Seite, zum Nordrand. Aber wenn wir überlegen, wie weit im Vergleich zu diesen 10 Meilen Luftlinie die Fahrtstrecke dorthin ist… Wir wissen das, im Sommer 2016 waren wir da drüben.

Jetzt lassen wir die Dimensionen des großen Grabens vom Südrand aus auf uns wirken. Die 15-Kilometer-Wanderung zum Hermits Rest hinterlässt dabei besonders Eindruck: Man läuft und läuft und läuft, immer an der Kante entlang, und hat dabei das Gefühl, auch nach Stunden noch dieselben Terrassen, Kegel und Felswände zu sehen.

Wir sind ehrlich froh, dass hier gerade Nebensaison ist. Die Menge an Reisegruppen und Touristen ist auch jetzt noch groß genug. Aber einen gewissen Unterhaltungswert haben die Besucher. Von Posen unter Kamera-Dauerbeschuss bis zu waghalsiger Akrobatik auf irgendwelchen Felsvorsprüngen über dem Abgrund ist alles im Repertoire.

Zurück zur Mutter aller Straßen, zur guten alten Route 66. Viel ist davon ja leider nicht mehr übrig, seit sie von den Interstates abgelöst wurde. Aber hin und wieder gibt es doch noch originale Abschnitte, inklusive „Gütesiegel-Aufdruck“ auf dem Asphalt, um alle Zweifel auszuräumen.

Die Orte, die damals an der Route 66 aufgeblüht sind und nun, abgehängt und von der Interstate umgangen, ihren alten Zeiten nachtrauern, versuchen ihre Vergangenheit, auf die sie noch mächtig stolz sind, lebendig zu halten. Keine Frage, die Städte haben alle sicher schon bessere Zeiten erlebt, aber die verstreuten nostalgischen Relikte haben doch gewissen Charme.

Alte Neonreklamen, dicke Straßenkreuzer, Retro-Zapfsäulen und zahllose Souvenirshops, in denen alle Arten von Devotionalien auf die Romantiker unter den Touristen warten. Wenn die Orte schon nicht mehr an dem Reiseverkehr auf der Route 66 Geld verdienen können, dann doch wenigstens mit dem Mythos der Straße.

Uns gefällt es, gemütlich die alte kurvige Landstraße entlang zu rollen, statt über die hektische Interstate, und durch die Straßen von Williams, Seligman oder Kingman zu spazieren. Irgendwo finden wir immer ein paar bunte, vielleicht auch kitschige Nostalgie-Ecken.

In dem abgelegenen ehemaligen Minendorf Chloride quartieren wir uns auf dem kleinen Campingplatz ein und bekommen direkt eine Einladung zur traditionellen Thanksgiving-Party zwei Tage später. Im Gemeinschaftsraum treffen wir auf ein buntgemischtes Trüppchen Ganzjahres-Vollzeit-Camper: Aussteiger, Mittellose und Leute auf der Suche nach Ruhe und Bescheidenheit. Hier haben sie alles, was sie brauchen, und Gesellschaft noch dazu. Chloride ist dabei für diese Art von Leben bestens geeignet, denn hier ist absolut nichts los. Wenn man mal von ein paar bellenden Hunden und heulenden Coyoten absieht. Wir fühlen uns pudelwohl in diesem Nest und genießen ein paar Tage Auszeit.

In der alten Minenstadt Oatman, an der alten Route 66 mitten in den Bergen gelegen, ist es dagegen wie auf dem Rummelplatz. Ein bisschen echte Wildwest-Nostalgie, ein bisschen Touristenzirkus und als Highlight der Vorstellung wilde Esel. Die ziehen hier frei durch die Straßen, unbeeindruckt von den Eseln auf zwei Beinen, die für ein Foto vor nichts zurückschrecken. Manchmal denke ich, die wilden Vierbeiner sollten ruhig mal öfter austreten…

Um das quirlige Oatman herum breitet sich schöne, schroffe Berglandschaft aus, durch die sich die Route 66 kurvenreich ihren Weg bahnt. Hier leben noch weitaus mehr wilde Esel, alles Nachfahren der ehemaligen „Mitarbeiter“ der ehemaligen Minen, und außerdem einige „schräge Vögel“, allen voran Crazy Ray.

Kalifornien

Durch die Hintertür schleichen wir uns rein nach Kalifornien: über raue, sandige Pisten geht es hinein in das Mojave National Preserve. Wir sind mal wieder in der Wüste. Klingt vielleicht öde, ist es aber ganz und gar nicht.

Bergketten durchziehen die Landschaft der Mojave Desert, dazwischen liegen Täler voller Kakteen und Buschwerk und vor allem mit riesigen Beständen an knorrigen Joshua Trees.

Aber es gibt noch mehr in der Wüste. Zum Beispiel Sand. Ganz besonders viel davon in den hohen Kelso Dünen, deren Besteigung wir uns jedoch bei der auch im November noch herrschenden Hitze lieber ersparen.

Was hätten wir da noch? Schweizer Käse! Natürlich keinen richtigen, aber Felsformationen, die stark daran erinnern, und die wir auf einer Rundwanderung samt Kletterpartie erkunden. Eine tolle Gegend, findet auch Felix, der ebenfalls klettern darf. Steinige Pisten teils durch trockene Flussbette und lange sandige Wege sind ganz nach seinem Geschmack.

Dann gäbe es da noch Lava und Vulkanasche in der Wüste. Während wir auf einem Teilstück der historischen Mojave Road über eine ganz tolle Sandpiste zuckeln, ziehen an uns Aschekegel und Lavafelder vorbei.

Nach ein paar Tagen verlassen wir das Mojave National Preserve, aber die riesige Mojave Desert bleibt uns weiterhin erhalten.

Auf den Wunsch einer einzelnen Dame hin machen wir auf unserem weiteren Weg Richtung Westen Halt in der Calico Ghost Town. Die spukt mir schon seit langem im Kopf herum. Jetzt passt es endlich mit einem Besuch!

Mitten in den bunten Bergen liegt die ehemalige Silberminenstadt aus dem 19. Jahrhundert, hübsch hergerichtet und rekonstruiert. Wir sind früh dran, haben die Wildwest-Straßen noch fast für uns allein. Calico ist irgendwie putzig. Auf der einen Seite historisch und weitgehend authentisch, auf der anderen Seite dank der Souvenirläden und Restaurants in den alten Gebäuden aber doch ein bisschen wie Disneyland.

Auf die „Highlights“ wie Silberminentunnel (300 Meter weit durch einen Erdhügel laufen) und Silberminen-Eisenbahn (vierminütige „szenische Rundfahrt“ um einen Hügel herum) verzichten wir dankend, aber da werden sich im Laufe des Tages sicher noch genügend Interessenten finden. Als wir gegen Mittag die Ghost Town verlassen, rollen gerade die ersten Tourenbusse an…

Uns zieht es weiter, schließlich haben wir wichtige Dinge zu erledigen. Wie uns die allgegenwärtige Dekoration in Calico unmissverständlich klar macht, hat die Vorweihnachtszeit begonnen, und deswegen müssen wir dringend nach Palm Springs. Denn da gibt es einen ALDI und wir nehmen mal ganz stark an, dass wir dort in den Regalen deutsche Lebkuchen und Spekulatius finden. Im nächsten Monat werden wir es wissen.