Texas
Bitte nicht irritiert sein, ja wir sind wirklich wieder in Texas, denn der Ausflug nach New Mexico beschränkt sich bisher auf den Carlsbad Caverns National Park. Jetzt sind wir im Guadalupe National Park in Texas angekommen und wollen in diesem urzeitlichen Binnenmeerriff ein bisschen wandern gehen. Aber dabei machen wir die Rechnung ohne das hiesige Wetterphänomen. Nach drei Tagen Sturm, der mit Böen von bis zu 130 Stundenkilometern über die Berge fegt und Felix kräftig aus den Federn lupft, haben wir die Nase voll, denn so macht Wandern keinen Sinn und Aussitzen irgendwann auch nicht mehr.
Ich nutze die Zeit, um im Felix zu werkeln, während Stephan sich unter die Motorhaube verkriecht, um die letzten Arbeiten an der neuen Heizung zu erledigen. Dafür sucht er sich den „besten“ Sturmtag aus, mit den stärksten Böen und zu allem Überfluss mit quertreibendem Schnee. Am dritten Tag versuchen wir eine kleine Wanderung, aber der Sturm nimmt uns weiterhin die Luft und damit den Spaß. Also brechen wir den Nationalparkbesuch kurzerhand ab und fahren direkte Linie Richtung El Paso.
Ungefähr 30 Meilen vor der Großstadt liegt der Hueco Tanks State Park, ein spannendes Felsengebiet und daher ein Eldorado für Kletterer, aber auch gleichzeitig Fundort unzähliger Felszeichnungen verschiedener früherer Bewohner. Hier wollen wir noch eine Nacht verbringen, bevor wir uns in die Großstadt begeben. Der obligatorische Campingplatz liegt mitten zwischen den knubbeligen Felsen, durch die ich am folgenden Tag mit einer kleinen Wandergruppe samt Parkranger streife.
Dass man zur Sichtung der kleinen Felsmalereien so viel klettern und kriechen muss! Ich frage mich, erstens, wer damals auf die Idee kam, genau an diesen Stellen hoch oben unter Felsüberhängen oder tief unter dicken Steinbrocken bildliche Nachrichten zu hinterlassen, und, zweitens, wer in der heutigen Zeit auf die Idee kommt, genau an diesen unmöglichen Stellen nachzuschauen, ob dort zufällig Zeichnungen zu finden sind.
Während ich also wandere und mich wundere, werkelt Stephan, wie meistens bei meinen Alleingängen, am Felix. So hat jeder, was er will.
Mit El Paso, in der alleräußersten Ecke von Texas gelegen, erreichen wir nach langen Wochen wieder einmal eine richtige Großstadt. Wie groß die Stadt ist, erahnen wir beim Blick von der Panoramastraße hoch oben am Berghang. Ein Häusermeer, soweit das Auge reicht. Und nicht nur das: Wir sind mal wieder genau an der Grenze zu Mexiko und können hinüber schauen nach Ciudad Juarez, der Schwesterstadt von El Paso auf der anderen Seite des Rio Grande.
Der wird hier spärlich durch einen Betonkanal geleitet, völlig unromantisch aber wohl nötig, denn mit jeder Veränderung des Flusslaufes hat sich der Grenzverlauf verschoben, was jahrzehntelang zu Streitigkeiten zwischen den Staaten führte. Nun plätschert alles in geordneten Bahnen und nur eine National Historic Site erinnert an das Dilemma anno dazumal.
Heute haben die Millionenstädte mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, Kriminalität steht ganz oben auf der Liste, angeblich hat es Ciudad Juarez früher einmal auf durchschnittlich sieben Morde am Tag gebracht. Doch wir haben Glück und können die paar Nächte, die wir in El Paso verbringen, ungestört frei stehen.
Wir haben einiges zu erledigen und lernen nebenbei auch die Stadt etwas kennen. Die Innenstadt, auf den ersten Blick unschwer an dem guten Dutzend Hochhäuser zu erkennen, ist auf den zweiten Blick geprägt von dem Sammelsurium an kleinen Geschäftsstraßen, die sich hinunter bis zum Rio Grande ziehen. Die unmittelbare Nähe zum Nachbarland ist hier ganz offensichtlich: Händler, Warensortimente, Kunden, alles ist mexikanisch.
Etwas außerhalb der Stadt reihen sich einmal mehr ein paar alte Missionsstationen aneinander, die wir auf einer kleinen Rundfahrt besuchen. Sie gehören eben zu den insgesamt recht wenigen Sehenswürdigkeiten von El Paso und sind einfach nett anzuschauen.
Noch etwas weiter vor den Toren der Stadt lockt uns das Cattleman´s Steakhouse, das zu den besten in ganz Texas zählt und auf der Indian Cliffs Ranch in Wildwestlandschaft eingebettet ist. Hier gehen wir zum ersten Mal auf unserer bisherigen Reise so „richtig“ essen, schließlich steht noch Stephans Geburtstagsnachfeier aus. In dem Kaff Red Bay, Alabama, Ende November hatten wir ja leider keinen Erfolg in puncto „schön dinieren“. Hier bekommt Stephan das, was er gerne mag: ein großes Steak, frisch aus farmeigener Schlachtung.
An unserem letzten Abend in El Paso findet das sportliche Großereignis des Jahres statt: der Superbowl-Abend! Genauer gesagt, geht es hier schon am Nachmittag los, für uns die Gelegenheit, endlich einmal das wichtigste Football-Spiel der Saison zu gucken. In Deutschland ist dann schließlich immer schon späte Nacht. Also suchen wir uns eine Sportbar und schauen vier Stunden dem Riesenspektakel zu, das im Grunde aus einer einzigen Stunde reiner Spielzeit besteht. Aber mit ständigen Spielunterbrechungen, reichlichen Werbepausen und der berühmten Halftime-Show ist der Abend rum. Und wir sind kein Stück schlauer, wie American Football im Detail funktioniert.
New Mexico
Von der Metropole geht es wieder hinaus in die Provinz, Alamogordo mitten in der Einöde ist unser nächstes Ziel. Es liegt so abgeschieden, dass das Militär der benachbarten Holloman Airforce Base ungestört trainieren kann. Unter anderem sind dort deutsche Soldaten stationiert, von denen wir einen vor ein paar Wochen in San Antonio auf dem Campingplatz getroffen haben. Jetzt sehen wir, in welche Ödnis ihn der Dienst bei der Bundeswehr verschlagen hat.
Den netten Herrn in der Touristeninformation von Alamogordo bringe ich ganz in Verlegenheit mit meiner Frage, was es denn in dem kleinen Städtchen zu sehen oder zu tun gibt. Da fällt ihm nicht wirklich viel ein.
Aber wir sind nicht ohne Grund bis hierher gefahren. Ein paar Meilen südlich der Stadt liegt unser eigentliches Ziel: das White Sands National Monument.
Hier in dieser Wüstenregion ist in unzähligen Millionen Jahren das größte Gipsdünengebiet der Welt entstanden. Regen und Schnee schwemmen neben anderen Mineralien vor allem Gips aus den umliegenden Gebirgen und bringen es in das Tularosa Basin. Dort verdunstet das Wasser, da das Tal keinen Abfluss hat, und zurück bleiben Selenit-Kristalle. Diese zerfallen durch Wind und Wetter zu sandkorngroßen Partikeln, die „vom Winde verweht“ werden. Und schon haben wir riesige, strahlend weiße Dünen aus feinstem Gipssand.
Ein Teil des unendlich erscheinenden Gebietes ist für Besucher erschlossen und auf verschiedenen Wanderwegen erkunden wir diese surreale Landschaft. Der Alkali Flat Trail ist dabei die größte Herausforderung. Acht schattenlose Kilometer lang stapfen wir durch den Sand, Düne rauf, Düne runter, Düne rauf, Düne runter, einfach toll. Und ganz schön anstrengend.
Zurück am Felix, schaut mir Stephan kopfschüttelnd zu, während ich meine Wanderschuhe entleere und den feinen Sand in einem kleinen Glas auffange. Okay, Sand mitzunehmen ist zwar strengstens verboten, aber diesen hier habe ich schließlich nicht gesammelt, er hat sich förmlich aufgedrängt. Also?!
Übernachtet wird ganz in der Nähe „wild“ an einem See, sehr idyllisch, wenn nur nicht die Kampfjets der Holloman Airforce Base ihre Übungsrunden drehen würden. Aber nach deren Feierabend genießen wir die Ruhe und Aussicht bei Mondlicht.
Auf dem Weg nach Las Cruces machen wir einen kurzen Zwischenstopp bei der White Sands Missile Range, einem weiten Raketen-Testgelände mitten in der Wüste. Mehr als den Rocket Park bekommt man als Besucher, nach eingehender Kontrolle und mit Passierschein, zwar nicht zu sehen, aber die Missile Range liegt halt auf dem Weg und für ein paar nicht ganz alltägliche Fotos ist sie allemal gut.
Die nächste Stadt, Las Cruces, hält uns nicht lange, auf uns wirkt sie nur mäßig spannend und zu weitläufig. Im Vorort Mesilla finden wir auf einem Parkplatz in der Nähe der zentralen, mexikanisch angehauchten Plaza einen Übernachtungsplatz und bummeln abends durch die sehr dörflichen Straßen.
Von Mesilla aus machen wir – Achtung! Festhalten! – einen großen Satz Richtung Westen, ohne Stopp, ohne Sightseeing, ohne irgendwas. Das kommt sehr selten vor. Nur fahren, fahren, fahren, auf der Autobahn… Und schon sind wir in Arizona angekommen!
Arizona
In Arizona geht es wieder gemütlich weiter. Wir verlassen die Autobahn und schlagen uns in die Berge. Nach einer Nacht im ausgetrockneten Flussbett erreichen wir über eine enge kurvige Schotterstraße den Apache Pass, auf dessen Höhe die Reste von Fort Bowie, vor über hundert Jahren Außenposten gegen die Apachen, zu finden sind. Ich unternehme eine kleine Wanderung dorthin, während Stephan lieber in der Zeit Felix-Pflege betreibt.
Nicht weit vom Apache Pass entfernt, erreichen wir im nächsten Bergmassiv das Chiricahua National Monument. Dieser unaussprechliche Park wartet mit unbeschreiblichen Felsformationen und –skulpturen auf, die Eis, Wasser und Wind in dicht bewaldeten Tälern und Schluchten geschaffen haben.
Eine einzige Straße führt hoch hinauf zu einem Aussichtspunkt, von dem zahlreiche Wanderwege in diese skurrile Landschaft starten. Soweit die Theorie. Während unseres Besuches ist die Straße dummerweise wegen Bauarbeiten gesperrt und unser Wandertag beginnt bereits weit unten bei der Besucherinformation.
Durch ein langgezogenes Tal marschieren wir stetig bergan, bis wir mitten im Herzstück der Felsenlandschaft ankommen. Jetzt geht es erst richtig los: Kopf in den Nacken und Blick nach oben, denn hier knubbeln sich die hohen Steinsäulen und Bögen, Türme und Schaukelfelsen dicht an dicht. Daneben kommen wir uns ganz klein vor.
Die Wanderwege verlaufen mitten zwischen den Felsformationen hindurch, zum Teil in Serpentinen die Berghänge hinauf, dann wieder auf schmalen Pfaden durch Schluchten und Felsgänge. Nach insgesamt gut 14 Kilometern sind wir wieder am Felix, gleichermaßen begeistert und erschöpft von der tollen Rundwanderung.
Nächster Stopp ist Douglas, wo wir auf dem Walmart-Parkplatz unser Nachtquartier beziehen wollen. Wie uns der Walmart-Security-Mann versichert, sind wir willkommen, die Nacht dort zu stehen, und Sorgen müssten wir uns auch keine machen. Der Zaun neben uns am Ende des Parkplatzes ist bereits die Grenze zu Mexiko, weswegen auf der anderen Seite des Parkplatzes direkt die Polizeistation steht. Und er selbst fährt die ganze Nacht für Walmart Patrouille. Wir hätten also den sichersten Platz in ganz Arizona. Mit diesen Informationen schlafen wir friedlich und beruhigt.
In Douglas erwartet uns eine kleine Hauptstraße in der sogenannten „historischen Innenstadt“ mit dem schönen alten Prachtbau des Gadsden Hotels, in dessen eindrucksvolle Lobby wir auf Anweisung unseres Reiseführers einen Blick werfen. Damit haben wir wohl auch schon alles Sehenswerte im Ort entdeckt und fahren guten Gewissens weiter, bis wir Bisbee erreichen.
Kurz vor der Stadt lenkt zunächst ein riesiger Krater unsere Aufmerksamkeit auf sich: Die „Lavender Pit“, eine seit Ende der 1980er Jahre stillgelegte Kupfermine, in der in rund hundert Jahren acht Milliarden Tonnen Kupfer abgebaut wurden.
Die kleine Stadt Bisbee verdankt ihren früheren Wohlstand dieser reichen Kupferader und begeistert heutzutage mit ihrem prima erhaltenen, historischen Charme. Alte Backsteinbauten mit schönen Fassaden, das elegante Copper Queen Hotel, kleine Gassen und Plätze, die gedrungene Lage an den Hängen eines engen Talkessels. Mir gefällt dieses Städtchen ausnehmend gut, aber irgendwann müssen wir weiter, denn Tombstone, „die“ Wildweststadt schlechthin, wartet.
Und dann sind wir dort und ziemlich irritiert. Nachdem alle Welt davon spricht, dass Tombstone der Inbegriff eines Wildweststädtchens ist, sind wir arg verwundert, dass sich alles in einer einzigen kurzen Dorfstraße abspielt. Die kommt zwar im sympathischen, angeblich originalen Wildwest-Look daher, aber woran mag es liegen, dass sie auf uns eher den künstlichen Eindruck von Phantasialand macht?
Liegt es an den typischen Krams- und Souvenirlädchen, den Pferdekutschen, die Touristen im Kreis fahren, den kostümierten Händlern? An der ungenierten Vermarktung? Straßensperren halten die Autos draußen, fehlen nur noch die Kassenhäuschen, dann ist der Freizeitpark perfekt. Diese eine Wildweststraße wirkt so herausgehoben aus dem ansonsten völlig durchschnittlichen Ort, dass sie in unseren Augen alles andere als authentisch ist.
So verkneifen wir es uns sogar, die tägliche Schießerei im O. K. Corral anzuschauen. Die „Earp-Brüder“ und „Doc Holliday“ auf der einen, der „Clanton-Clan“ und die „McLaurys“ auf der anderen Seite, das hat Tombstone zu Ruhm und Bekanntheit verholfen.
Immerhin schauen wir uns den Boothill Graveyard, den berühmten Friedhof, an. Dort sind nicht nur die Gräber der echten Opfer der echten Schießerei zu sehen. Auf zahlreichen Grabkreuzen können wir nachlesen, auf welche Weise auch andere arme Leute damals ihr Leben lassen mussten. Erschossen, ermordet, aus Versehen gehängt oder auch nur ganz einfach gestorben. Raue Zeiten damals.
Ganz real ist unsere Suche nach einem Übernachtungsplatz in Tombstone. Die Campingplätze haben schon geschlossen, freies Campieren ist ansonsten überall verboten. Dennoch versuchen wir, im Ort irgendwo ein Plätzchen zu finden. An einer Ranch sehe ich ein paar Leute, die will ich ansprechen, ob sie eine Idee hätten. Mit dem Hintergedanken, vielleicht dort auf dem privaten Gelände bleiben zu können.
Einer der Männer kommt mir über den Hof entgegen und mir schießt ein „na super“ durch den Kopf. Sheriffabzeichen, Cowboyhut, Waffengürtel. Hab ich natürlich genau den Richtigen erwischt, um zu fragen, wo man hier „illegal“ frei stehen könnte… Na, was soll es, jetzt gibt es kein Zurück.
Mit seiner Antwort habe ich schon gerechnet: hier im Ort kann man mit einem Wohnmobil nirgends übernachten. Ich bleibe noch einen Moment abwartend stehen und dann, nach einer kurzen Überlegungspause seinerseits, kommt von ihm das erhoffte Angebot, auf dem Hof bleiben zu dürfen. Na, wer sagt es denn! Wie sich herausstellt, ist der Sheriff gleichzeitig Besitzer der Ranch, also alles bestens. Da ist uns eine ruhige Nacht sicher.
Vom Wildweststädtchen führt uns der Weg in die Rentnerhochburg Tucson. In diese sonnige, warme Gegend zieht es Tausende von Winterflüchtlingen aus dem kalten hohen Norden. Um die Stadt herum stehen auf riesigen Flächen ausrangierte Militärflugzeuge und warten auf ihre Wiederverwertung. Das trockene und warme Klima, das die Senioren hier so schätzen, ist auch für alte Fluggeräte (als Korrosionsschutz) vorteilhaft.
Wir machen in Tucson Station, um den Saguaro National Park zu besuchen. Saguaros sind die Kakteen, die man gemeinhin mit dem weiten, kargen Westen verbindet. Bis zu 15 Meter Höhe erreichen diese Riesen, die ihre meist zahlreichen Arme gen Himmel strecken.
Um Tucson herum gibt es zwei große Areale, die diese Kaktusart als Nationalpark schützen. Ich bin ganz überrascht, dass die Kakteen nicht einsam auf sandigem, dürrem Boden stehen, sondern eingebettet zwischen Bäumen und Gebüsch. Aber auf der Rundfahrt durch diese recht grüne Landschaft stechen die enorm großen Saguaros immer hervor.
Von Tucson aus fahren wir, mit einem kleinen Abstecher zu den Casa Grande Ruinen, nach Phoenix, wo am 20. Februar unser Reisemonat endet.
Wir müssen aus familiären Gründen nach Deutschland fliegen und lassen Felix auf dem Hof eines LKW-Vermieters zurück. So kurzfristig einen Einstellplatz zu finden, ist gar nicht einfach und wir sind froh über diese eine Option, die sich uns bietet.
Die sehr nette und hilfsbereite Managerin versichert uns hoch und heilig, dass unser Unimog bei ihr gut aufgehoben ist. Wollen wir es hoffen, denn wie uns der Taxifahrer, der uns zu nachtschlafender Zeit zum Flughafen fährt, wissen lässt, ist das Stadtviertel das berüchtigste von ganz Arizona: Drogen, Waffen, Prostitution, alles ist vertreten. Wir hören uns das nur stumm an und halten uns an das, was Lynn, die Managerin, sagt, die seit 15 Jahren ohne Probleme dort ihr Geschäft führt und jeden in diesem verruchten Viertel kennt. Trotzdem, Felix, pass gut auf dich auf! Bis in zehn Tagen, dann sind wir wieder da.