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Labrador

Der erste September, und irgendjemand hat den Hebel umgelegt: der Sommer ist ausgeschaltet. Wir werden bei eisigen, windigen 5 Grad Außentemperatur durch das Regenprasseln auf dem Felixdach geweckt.

Doch irgendwann kommt die Sonne hervor und wir starten den landschaftlich reizvollen Abstecher vom Labrador Coastal Drive Richtung Norden. Über eine überraschend gute Schotterpiste erreichen wir Cartwright, doch gleich am Ortsschild fängt die Kraterlandschaft auf der nicht asphaltierten Fahrbahn von neuem an. Das kennen wir ja vom Coastal Drive nur zu gut. Stephan startet erneut Ausweichmanöver, fährt tapfer Schlangenlinie um die dicksten Löcher herum. Rechts am Rand sieht die Fahrbahn ganz gut aus, das verlockt, möglichst weit rüber zu lenken. Und da ist es auch schon passiert: ein kurzer Moment, und wir hängen im Graben.

Bei der Schräglage rutscht erst mal das Herz kräftig in die Hose, ganz egal, was so ein Unimog angeblich alles bewältigen kann. Wissen wir, wie stabil nasser Morast ist? Ob wir weiter absacken? Die beiden rechten Reifen verschwinden im Graben, die beiden linken Räder halten sich auf der Straßenkante, stehen aber schon auf Kipp.

Gleich halten ein paar Pickup-Fahrer mit der freundlichen Frage, ob wir vielleicht Hilfe bräuchten? Ja, durchaus! Wir schicken einen Fahrer hinter dem Grader her, der uns ein paar Kilometer zuvor begegnet war. Grader sind große Straßenbaumaschinen, die die Aufgabe haben, auf unbefestigten Fahrbahnen die Schlaglöcher aufzufüllen und die Fahrbahndecke wieder schön gerade zu ziehen. So einer kann uns auch aus dem Graben helfen. Felix könnte generell aus eigener Kraft herauskommen, doch unsere Sorge ist, dass er in dieser ungünstigen Position beim Anfahren gegen die Straßenkante einfach umkippen könnte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit und einem ersten Bergungsversuch mithilfe eines kleinen Lastkraftwagens, bei dem Felix nur noch mehr in Schräglage gerät, kommt der Grader endlich zurück. Dank Allrad und eines Bergegurtes zur Stabilisierung gegen das Kippen bugsiert Stephan den guten Felix wieder auf die Fahrbahn. Erleichterung!

Der Graderfahrer nimmt es gelassen, war für ihn wohl nicht der erste Einsatz dieser Art. Und wir sind im Nu im Ort bekannt. Uns jedenfalls wird der kleine Fischerort Cartwright am Ende der Welt immer in Erinnerung bleiben.

Nach der Rückkehr auf die Hauptstrecke hört Stephan bei seinen Slalomfahrten um die zahllosen Schlaglöcher noch eher als bisher ein „Nicht so weit rechts!“. Denn der Coastal Drive ist auf einen Damm gebaut, dessen Kanten oft mehr als ausgewaschen sind.

Weiter führt die Piste durch menschenleeres Land, Nadelwald und sumpfige Tundra wechseln sich ab, irgendwann ändert sich die Landschaft, es wird bergiger und die ersten Laubbäume mischen sich unter. An Labradors Südküste ist die Einsamkeit und Leere des Inlands dann endgültig vorbei, kleine Fischerorte laden zum Halten und Schauen ein.

St. Lewis wird spontan unser Ziel, denn der Weg dorthin führt über eine Stichstraße, die laut Reiseführer landschaftlich sehr lohnend sein soll, was wir bestätigen können. Das Fischerdorf selbst ist nicht weniger reizvoll, die kleinen Häuser verteilen sich über Klippen, die eine Bucht schützend einrahmen. Am Hafen beobachten wir ein paar Bootsmänner bei der Arbeit und kommen mit ihnen ins Gespräch. Am Ende stehen wir mit einem geschenkten Catfish, einem Wels, da, den Stephan gleich fachmännisch-improvisiert vor dem Felix zerlegt. Ein leckeres Abendessen!

Mary´s Harbour, der nächste Ort auf unserer Reise, taucht eigentlich nur im Zusammenhang mit der Insel Battle Harbour auf, die als National Historic District ein absolutes Muss ist. Nicht aber für uns, nachdem wir die aktuellen Preise für die Bootsfahrt dorthin erfahren haben. Inzwischen ist der Schiffsverkehr auf eine Überfahrt pro Tag beschränkt, also erfordert ein Besuch der Insel eine Übernachtung und dieses Komplettpaket soll nun für zwei Personen über 400 Dollar kosten. Die spinnen, die Kanadier!

Und ganz nebenbei gesagt, Mary´s Harbour ist vielleicht nicht historisch wertvoll und hat auch keine großen Attraktionen, ist aber trotzdem ein hübsches und schön gelegenes Dorf, das auch für sich genommen einen Besuch lohnt.

Hinter Lodge Bay beginnt ein letztes langes Stück „Wildnis“, die Schotterpiste führt zunächst steil bergan und dann weit von der Küstenlinie entfernt über ein karges und steiniges Hochplateau.

In Red Bay schließlich, so wissen wir, erwartet uns nicht nur wieder Asphaltstraße, sondern ein Ort, in dem es sogar eine National Historic Site zu besuchen gibt. Im Ort wollen wir unsere Vorräte auffüllen und wenn möglich, ein wenig Reserve zutanken. Umso irritierter sind wir, als wir über die letzte Bergkuppe fahren und in der Ferne auf einer kleinen Landzunge im Meer gerade mal eine Handvoll Häuser erblicken! Das soll alles sein? Haben wir da etwas missverstanden? Als wir endlich ankommen, sehen wir dann zu unserer Beruhigung, dass sich um die Landzunge herum doch noch mehr Ortschaft befindet und wir müssen schon mal nicht verhungern.

Am nächsten Tag besichtigen wir in Ruhe die Ausstellungen zum Thema „Baskischer Walfang im 16. Jahrhundert“, der Red Bay zur National Historic Site macht, lassen uns per Boot auf die kleine flache Insel Saddle Island hinübersetzen, auf der wir eine schöne Rundwanderung machen, und kraxeln zu guter Letzt am Fuße des Tracey Hills am Ende der Bucht über die Steine, um am Ufer verstreute Überreste von Walknochen zu finden.

Weiter geht es zum Pinware River Provincial Park, der schön an einer Flussmündung gelegen ist und mit seinem Campingplatz eigentlich eine tolle Übernachtungsgelegenheit wäre. Aber wir wollen weiter und landen schließlich in L´Anse-au-Loup, dem größten Ort an der Küste.

Der Besuch fällt dort etwas anders aus als gedacht, denn schon in der Nacht hören wir Regen auf dem Felixdach und auch noch am nächsten Morgen und Mittag und Abend. Solch einen Dauerregen hatten wir auch noch nicht. Am folgenden Tag sinkt zwar die Temperatur auf mickrige 4 Grad, aber ein kurzer Rundgang ist immerhin drin. Anschließend muss erst mal der Kühlschrankinhalt umgeräumt werden, denn 2 Kilogramm Shrimps aus der ortsansässigen Krabbenfabrik brauchen Platz.

Ein paar Kilometer weiter erreichen wir einen Ort, der nur aus einer Handvoll Häusern besteht, aber neben der ältesten bekannten Grabstätte Nordamerikas auch noch den höchsten Leuchtturm der Atlantikprovinzen hat. Nichtsdestotrotz säumen zahlreiche rostige Überbleibsel gesunkener Schiffe den Küstenstreifen, denn hier soll an 9 von 10 Tagen Nebel herrschen, und am 10. Tag Sturm. Können wir gar nicht nachvollziehen, bei strahlendem Sonnenschein sind Leuchtturm und Schiffswracks ein richtiger Hingucker. Aber nicht nur diese, sondern auch der MAN aus Konstanz, der schon auf dem Parkplatz steht, als wir ankommen. So lernen wir Kerstin und Ralf kennen, die schon seit rund neun Monaten auf Nordamerikatour sind und sich nun dem Reiseende nähern.

Vom Leuchtturm in L´Anse-Amour aus ist es nicht mehr weit bis L´Anse-au-Clair, dem letzten Ort in Labrador, denn kurz hinter der Ortsgrenze passieren wir die Grenze zur Provinz Québec, in der vor ein paar Wochen unsere Runde durch Labrador begonnen hat.

In Blanc Sablon, dem ersten Ort in Québec, treffen wir Kerstin und Ralf an der Fähre wieder und bei bestem Wetter geht es über die Meerenge Strait of Belle Isle. Ein letzter Blick auf die Küste Labradors, dann schauen wir nach vorne, Neufundland liegt vor uns und soll für die nächsten Wochen unser Ziel sein.

Neufundland

Kaum sind wir auf der großen Insel angekommen, ziehen die ersten Wolken auf. Wir machen uns direkt auf den Weg nach Norden, zunächst auf der flachen Küstenstraße, an der sich zahlreiche Fischerorte aneinander reihen. Aber keines lockt uns besonders, und so fahren wir durch, bis wir ganz oben in der Stadt St. Anthony ankommen und der Himmel inzwischen ganz dunkel ist. Und dann beginnt bei eisigen Temperaturen der Regen, der in den kommenden Tagen nicht aufhören sollte.

Am nächsten Morgen, wir sitzen noch gemütlich beim späten Frühstück, klopft jemand an unserer Haustür. Vor der Tür stehen triefend nass Angela und Claudio, die von Ruth und Fredi wissen, dass wir in der Gegend unterwegs sind und „uns wenigstens mal `Hallo` sagen wollten“. So klein ist die Welt. Die vier Schweizer haben sich über das Internet kennengelernt, aber nie persönlich getroffen, uns aber, die Claudio und Angela nur vom Hörensagen kennen, sehen sie durch Zufall.

Wir verabreden uns für den Mittag im Ort, denn bei diesem Regenwetter haben wir Reisenden das gleiche Ziel: Laundromat. Als wir in dem Waschsalon ankommen, ist Angela schon eifrig dran und während unsere Waschladungen ihre Runden drehen, haben wir Zeit, über unsere Reisen zu quatschen und Tipps auszutauschen. Die beiden Schweizer sind seit zweieinhalb Jahren nonstop in Nord- und Mittelamerika auf Reisen. Kurz darauf kommt noch jemand herein, es ist Kerstin, auch sie legt einen Regenwetter-Haushaltstag ein. Zusammen mit unseren Männern veranstalten wir so das erste Waschsalon-Globetrottertreffen, warm, trocken und sehr unterhaltsam. Ich glaube, so viele Stunden hat von uns allen noch keiner vor einer Waschmaschine verbracht.

Kerstin und Ralf sehen wir hier zum letzten Mal, sie machen sich auf Richtung Süden, aber mit Claudio und Angela verbringen wir einen sehr schönen Abend am windigen Cape Onion außerhalb der Stadt und quatschen noch bis in die frühen Morgenstunden.

Ganz in der Nähe machen wir am nächsten Tag einen Abstecher zum Burnt Cape, einem Felsmassiv, das sich karg und nahezu vegetationslos ins Meer schiebt und uns irgendwie gehörig an Island erinnert…

Ein paar Kilometer weiter haben wir wieder ein Gefühl von Island, diesmal liegt es an der Ausgrabungsstätte in L´Anse aux Meadows. Hier ist durch den Fund von Resten einer Wikingersiedlung der erste Nachweis einer europäischen Besiedlung in Nordamerika erbracht worden. Die eigentlichen Ausgrabungsplätze des UNESCO-Weltkulturerbes sind heute nicht mehr als grasbewachsene Erdhügel, aber nebenan sind ein paar Grassoden-Häuser rekonstruiert und ausgestattet worden und laden mit offenem Feuer und netten „Bewohnern“ in Kostümen zum Verweilen ein. Anstatt von den „Wikingern“ über ihre Lebensweise zu erfahren, reden sie mit uns jedoch nur über Felix, den sie zuvor schon im Ort gesehen haben, und unsere Reisepläne. Na ja, auch ein schönes Thema.

Auf unserer Weiterfahrt übernachten wir in Main Brook, einem kleinen, wahrscheinlich unbedeutenden Ort, aber am Ortseingang fällt mir ein Schild mit der Aufschrift „Isabella´s Country Meats – Moose Cutting“ auf. Hier halten wir am nächsten Morgen, denn wir wollen schauen, ob wir in der Metzgerei vielleicht Elchfleisch kaufen können.

Die Metzgerei entpuppt sich als Schlachtbetrieb im Kellergeschoss eines Wohnhauses, in dem Freizeitjäger ihre selbsterlegten Elche fachmännisch zerlegen lassen, also leider kein Verkaufsladen. Doch dann redet die nette Mitarbeiterin mal kurz mit der Chefin, kommt mit ein paar Paketen in der Hand zurück, bedauert, dass sie uns kein Fleischstück anbieten könne. Aber sie solle uns die Elchwürstchen und das Elchgehackte geben. Wir freuen uns schon, etwas probieren zu können und dann freuen wir uns noch mehr, denn wir bekommen alles auch noch geschenkt! Und eine Führung vom Chef durch den Schlachtbetrieb obendrein.

In Port Saunders haben wir dann die nächste tolle Begegnung, die bestätigt, wie nett die Neufundländer sind. Nach einem Spaziergang durch den Ort komme ich vor dem Felix mit einem Hundebesitzer ins Gespräch und frage bei der Gelegenheit, ob wir irgendwo über Nacht stehen könnten. Er meint, wir sollten einfach auf die andere Seite vom Bootsschuppen, neben dem wir parken, fahren, der Schuppen und das Grundstück gehören einem guten Freund, dem will er kurz Bescheid sagen, dass er Übernachtungsgäste hat.

Am frühen Abend kommt unser „Gastgeber“, Maurice, selbst vorbei, begrüßt uns freundlich und lädt uns in seine Fischerhütte ein, in der er Krabben für das Abendbrot schälen will. Er erzählt und erzählt und wir mit ihm und irgendwann stehen wir alle um den großen Bottich mit frisch gekochten Krabben herum und pulen gemeinsam, er für sein und wir für unser Abendessen. Ein Riesenspaß, besonders, wenn man irgendwann den Dreh raus hat und die Krabbenschalen flink mit zwei Handgriffen entfernen kann.

Maurice kündigt sich schon mal für den nächsten Morgen an, dann wolle er uns seinen Heimatort zeigen und auf dem Rückweg zu Hause ein Päckchen Heilbutt für uns aus dem Tiefkühler holen, den wir unbedingt probieren müssen. So sitzt er am nächsten Tag auf unserem Sofa, trinkt eine Tasse Kaffee und nimmt uns anschließend auf eine Spritztour quer durch das Dorf mit, nicht ohne bei seiner Frau auf der Arbeitsstelle anzuhalten und uns miteinander bekannt zu machen.

Die Fahrt durch den kleinen Hafen, in dem die Krabbenkutter bereits aus dem Wasser geholt und winterfest gemacht werden, hat uns besonders gut gefallen, dort halten wir mit Felix noch mal an, um in Ruhe gucken zu können. Und schon sind wir durch unseren Unimog wieder im Gespräch, diesmal mit Hafenarbeitern, von denen sich einer als Werftbesitzer vorstellt und uns in der großen Halle stolz sein derzeitiges Bauprojekt vorführt: ein Krabbenkutter, dessen Rumpf komplett aus Glasfaserkunststoff hergestellt wird. Den Geruch von Epoxidharz und Glasfaserstaub, der in der Luft hängt, kennen wir vom Felix-Bau nur zu gut.

Am Nachmittag verlassen wir Port Saunders, um tolle menschliche Erfahrungen, ein Stückchen Glasfasermatte für eventuelle Reparaturen und vier Portionen köstlichen Heilbutt reicher.

Ein paar Kilometer weiter erreichen wir unser eigentliches Ziel, Port au Choix. Eine weitere National Historic Site, ein weiterer Leuchtturm und, rein zufällig und noch bemerkenswerter, unsere erste Elchsichtung. Ein stattliches Exemplar streunt in einiger Entfernung durchs Gebüsch, aber mit dem Fernglas lässt das Tier sich gut beobachten. Ein bisschen merkwürdig fühlen wir uns schon dabei: Da freuen wir uns, einen großen lebenden Elch zu sehen und freuen uns genauso darauf, am Abend ein halbes Dutzend Elchwürstchen in die Pfanne zu hauen…

Die weitere Fahrt an der Westküste entlang begleitet uns auf der einen Seite abwechselnd Wald- oder Ödland und in einiger Entfernung die dahinter aufragende Bergkette der Long Range Mountains, auf der anderen Seite das Wasser des Gulf of St. Lawrence.

Dann erreichen wir den Gros Morne National Park, der mit seinen zahlreichen Naturschönheiten und -besonderheiten UNESCO-Welterbe-Status hat. Leider macht uns einmal mehr das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Die hunderte Meter hohen Steilfelsen am Western Brook Pond, ein Binnensee, der mal ein Fjord war, verschwinden im Regenschleier. Auch Rocky Harbour, einer der wenigen Orte im Nationalparkbereich, sehen wir hauptsächlich durch die regennassen Scheiben des kleinen Cafés, in das wir uns flüchten. Den höchsten Berg im Park, den Gros Morne, erkennen wir nur schemenhaft in schwarze Wolken gehüllt.

Am Leuchtturm in der Nähe von Rocky Harbour finden wir wenigstens einen ungestörten Übernachtungsplatz. Wie sich herausstellt, sind wir nicht die einzigen dort. Wir lernen Max und Paul kennen, zwei Studenten aus Bayern, die gerade mit einem alten kanadischen Kombi, in dem sie fahren und leben, in ihre einjährige Nordamerikarundreise gestartet sind. Unser Kühlschrank ist zwar nicht auf Besuch eingestellt und unsere Vorräte sind ziemlich aufgebraucht, aber wir improvisieren ein warmes Abendessen und zwängen uns zu viert in unser Wohnzimmer.

Neufundland scheint es uns nicht leicht machen zu wollen mit der andauernden Nässe und Kälte ohne Aussicht auf Besserung, da können uns noch so viele Einheimische sagen, September und Oktober seien noch tolle Reisemonate. Also halten wir eine „Krisensitzung“ ab. Hier im Nationalpark ist der Punkt gekommen, an dem wir uns entscheiden müssen, ob wir die nächsten Wochen wie geplant weiter nach Osten Richtung St. John´s reisen oder Neufundland abbrechen und die direkte Route nach Süden zur Fähre nach Nova Scotia nehmen. Neben dem unbeständigen Wetter spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass um diese Jahreszeit viele Höhepunkte, die Neufundland neben Land und Leuten ausmachen, beispielsweise Eisberge, Wale und Sommerfestivals, vorbei sind, was zu verschmerzen wäre, wenn wir wenigstens die tolle Landschaft draußen genießen könnten…

Wir hatten uns sehr auf die Insel gefreut und die Entscheidung fällt nicht leicht, aber der Kopf setzt sich durch. Wir wissen, dass wir auf jeden Fall noch einmal in einem späteren Sommer zurückkehren werden, um alle entlegenen Winkel zu besuchen und die tolle Insel richtig kennen zu lernen. Aber jetzt versuchen wir, Richtung Süden zu kommen, bevor wir auch dort irgendwann nur dem nasskalten Herbstwetter hinterher reisen.

Also machen wir uns auf nach Deer Lake, einer Kleinstadt, in deren Hauptpostamt hoffentlich schon das Paket angekommen ist, das uns liebe Freunde aus Deutschland mit unseren Bestellungen schicken. Leider ist das Päckchen noch nicht da, und so nutzen wir das bevorstehende Wochenende, um einen Abstecher nach Corner Brook und weiter in die Bay of Islands zu machen.

Corner Brook, neben St. John´s die größte Stadt in Neufundland, ist im ersten Moment ein wahrer Schock. In der Abenddämmerung geraten wir in ein betriebsames Straßengewirr und fühlen uns in dem Talkessel, in dem die Stadt eingezwängt liegt und sich weit über die umgebenden Hügel ausbreitet, überrollt. Ohne zu wissen, wo wir über Nacht stehen können, finden wir zum Glück den Weg zu Captain James Cook´s Aussichtshügel und stehen dort mit Blick auf die Stadt, die am nächsten Morgen im Hellen gar nicht mehr so erschlagend wirkt… Ist eben doch nur eine Kleinstadt mit ihren rd. 26.000 Einwohnern… Waren wir wirklich so lange im Niemandsland?!

Von der Stadt aus schraubt sich eine kurvenreiche Küstenstraße einen tief eingeschnittenen Fjord entlang durch kleine Dörfer und mit viel Aussicht, bis in Lark Harbour quasi Land´s End erreicht ist. Das heißt, nicht ganz, denn einmal übern Berg hinüber, und wir sind in Bottle Cove, wo wir eine nette kleine Wanderung machen können. In York Harbour finden wir ein Übernachtungsplätzchen am Strand und genießen die Abendsonne mit Blick auf die weite Bucht.

Am Montag stehen wir in aller Herrgottsfrühe wieder im Postamt, aber immer noch kein Paket! Ist aber nicht so schlimm, da wir für Montag sowieso einen Termin in Deer Lake vereinbart haben.

Felix soll die Reifen über Kreuz getauscht bekommen und die ehemals Vorderreifen, die während der letzten paar tausend Kilometer sehr ungleich abgefahren sind, sollen auf der Felge gedreht werden. Also alles ein gehöriger Aufwand, den wir lieber in einer LKW-Reifenwerkstatt mit entsprechender Ausrüstung machen lassen wollen. Es läuft alles reibungslos, bis der erste auf der Felge „geflippte“ Reifen ein lautes Zischen von sich gibt. Das Reifenventil ist beschädigt, höchst unerfreulich, denn wir haben schon in Deutschland lange nach den passenden Ventilen suchen müssen. Auch die Reifenwerkstatt hat kein passendes als Ersatz zur Verfügung, aber was nicht passt, wird passend gemacht. Na, glücklich sind wir mit der Lösung nicht, aber was hilft es.

Während der ganzen Prozedur schaffen wir es endlich auch, näheres über unser Paket zu erfahren. Die Auslieferung lässt noch bis zum Ende der Woche auf sich warten. Was also in der Wartezeit tun?

Zum Glück sagt die Wettervorhersage gutes Wetter voraus, und so entschließen wir uns, noch mal in den Gros Morne National Park zurück zu fahren. Die Entscheidung ist goldrichtig, denn wir haben dort endlich drei Tage zwar kaltes, aber sonniges Wetter.

Die Wanderung zum Western Brook Pond holen wir nach, laufen in den Tablelands herum, einer ockergelben, nahezu vegetationslosen Mondlandschaft aus Erdmantelgestein, und schlendern durch die kleinen Orte Trout River und Woody Point, wo wir auch – versprochen ist versprochen – die Grüße an einen Freund von Maurice, unserem Gastgeber aus Port Saunders, ausrichten. Die Bonne Bay, ein riesiger verzweigter Fjord, der den Nationalpark fast durchtrennt, leuchtet in tiefem Blau und auch der Gros Morne, namensgebender und höchster Berg im Nationalpark, zeigt sich diesmal sonnig und klar. Als Höhepunkt sehen wir an einem Tag gleich drei Elche, zunächst einen Kerl direkt am Straßenrand, später ein Paar auf Abendspaziergang im Unterholz.

Zum dritten Mal in Deer Lake angekommen, fühlen wir uns dort schon fast heimisch. Diesmal haben wir Glück und können noch am gleichen Abend unser Paket aus Deutschland in Empfang nehmen. Dann wird quasi Weihnachten gefeiert, mit Bergen von Einpackpapier. Während Stephan die Ersatzteile begutachtet, vertiefe ich mich in die Marler Zeitung von vor ein paar Wochen und sehe, was Aldi im Angebot hatte.

Unser zweiter Besuch in Corner Brook, der neufundländischen Großstadt, endet diesmal nicht idyllisch bei James Cook, sondern völlig unromantisch auf dem Walmart-Parkplatz. Zu mehr als umfassenden Einkäufen können wir uns nicht aufraffen, erneutes eisiges Regenwetter bestärkt uns, trotz der schönen Tage im Nationalpark, in unserem Entschluss, die Insel zu verlassen. Auf der Fahrt nach Port-aux-Basques, wo die Fähre nach Nova Scotia ablegt, erleben wir – wie zur Bestätigung – unseren ersten Schneeregen, also nichts wie weg.

Im Fährhafen geraten wir überraschend in eine Food Inspection und werden vom Staatsdiener aus Angst vor Pilzsporen unserer erst am Vortag frisch erworbenen Möhren und Kartoffeln beraubt. Was opfert man nicht alles zur Rettung der kanadischen Knollengemüse!

Auf der schaukelnden sechsstündigen Fährfahrt gibt es keine weiteren Vorkommnisse und wir erreichen am Abend Cape Breton Island in Nova Scotia.

Cape Breton Island – Nova Scotia

Dort wollen wir auf jeden Fall den Cape Breton Highland National Park besuchen, der berühmt für seine spektakuläre Küstenstraße ist. Wir folgen dem Ratschlag aus unserem Reiseführer, die Rundtour im Uhrzeigersinn zu machen, denn so sind das Licht und die Aussicht am besten.

Nachdem der sogenannte Cabot Trail, der einmal um die gesamte Halbinsel herum führt, zunächst an schöner aber flacher Küste entlang verläuft, ändert sich die Fahrt mit Eintritt in den Nationalpark schlagartig und die Straße windet sich immer höher in die steil ins Wasser hinab fallenden, grünbewaldeten Berge. Der starke Wind lässt die Wellen tanzen und in der Sonne schimmert die Gischt in Regenbogenfarben. Auf unserem stürmischen Campingplatz direkt hoch über dem Wasser werden wir nachts kräftig durchgerüttelt und am nächsten Tag bei unserer Wanderung auf dem wohl bekanntesten der Wanderwege, dem Skyline Trail, fast von den Klippen geweht. Auf der gewundenen Küstenstraße hält Stephan sein Versprechen, an jedem Aussichtspunkt zu halten, und davon gibt es einige.

Im Norden verläuft der Cabot Trail durch das Inland, viel Wald und viel Berg, die Straße schraubt sich weiterhin auf und ab. Erst an der Ostküste der Halbinsel wird es wieder etwas flacher, rosarote Granitfelsen schieben sich immer wieder in das Meer, es gibt kleine Strände und nette Fischerorte. Auf einem der Strandparkplätze sehen wir durch Zufall zwei bekannte Gesichter wieder: Max und Paul mit ihrem Kombi, gerade frisch von der Neufundlandfähre in Nova Scotia eingetroffen.

Nach drei Tagen haben wir die Halbinsel einmal umrundet, hätten gut und gerne noch etwas mehr Zeit dort verbringen können, aber die Wettervorhersage warnt für die kommenden Tage vor Starkregen und Sturm, Mitbringsel eines Hurrikan-Ausläufers aus Florida. Das Wetter wollen wir lieber geschützt aussitzen und fahren die Ostküste zügig ab, bis wir in Baddeck landen.

Dieser sehr nette Ferienort nennt sich „Anfang und Ende des Cabot Trails“, denn hier schließt sich der Kreis, auch für uns. Und hier beschließen wir auch unseren Reisemonat September.