British Columbia

Nachdem wir uns in Port Alberni spontan entschlossen haben, am Felix eine weitere Reparatur machen zu lassen, warten wir wieder einmal auf ein Ersatzteilpaket aus Deutschland. Nun ist die Westküste von Vancouver Island nicht die schlechteste Gegend, um zu warten. Wir lassen uns für den Küstenstreifen zwischen Tofino und Ucluelet einfach mehr Zeit als geplant. Diese beiden wirklich sympathischen Orte sind zwar touristisch, aber Anfang Mai noch nicht überlaufen. Hier kann man durch die Sträßchen bummeln, Boote zählen und aufs Wasser gucken. Während in Ucluelet noch eine gewisse Gelassenheit und Ruhe zu spüren ist, wirkt Tofino aufgedrehter und ein bisschen verrückter. Hier scheinen sich hauptsächlich zwei Sorten Mensch heimisch zu fühlen: Surfer und Hippies.

Zwischen Ucluelet und Tofino erstreckt sich der Pacific Rim National Park. Strände gibt es hier wie Sand am Meer, weißsandig und voller Treibholz. Dazwischen raue Felsen und Klippen mit Gezeitentümpeln, in denen Muscheln, Schnecken und Anemonen auf die nächste Flut warten. Sogar ein paar Seesterne können wir entdecken, die sich wohl in den letzten Jahren eher rar gemacht haben. Nach einer guten Woche kennen wir ziemlich jeden Strand des Nationalparks und jeden Winkel der beiden Fischerorte.

Auf einem unserer Streifzüge kommt uns plötzlich ein auffälliges, großes Fahrzeug entgegen. Im Vorbeiflug kann Stephan erkennen, dass es ein Steyr ist, ich sehe über der Windschutzscheibe flüchtig eine Webadresse. Bei nächster Gelegenheit wird sofort recherchiert und schon haben wir Martina und Hermann aus Düsseldorf ausfindig gemacht. Wie es der Zufall will, sind sie in Port Alberni und wir gerade auf dem Weg dorthin, denn die Ersatzteile sind inzwischen angekommen. Nach zwei kurzweiligen Abenden trennen sich unsere Wege vorläufig wieder, aber wir bleiben in Kontakt, denn ihre und unsere Wege führen nach Norden. Dort werden wir uns wiedertreffen.

Der Werkstattbesuch ist übrigens erfolgreich, nach einem langen Arbeitstag krabbeln ein ölverschmierter Steve und ein ölverschmierter Stephan müde aber zufrieden unter dem Felix hervor.

Jetzt ist es aber an der Zeit, Vancouver Island zu verlassen. Wir schauen uns noch die Hafenstadt Nanaimo an, bevor uns von dort eine Fähre wieder aufs Festland bringt. Schnell ist Vancouver erreicht und wir suchen den Parkplatz in der Nähe des Stanley Parks auf, den wir schon bei unserem  Herbstbesuch ausfindig gemacht hatten. 24-Stunden-Parken erlaubt, erschwinglich und mitten in der Stadt. Einen besseren „Campingplatz“ kann man nicht finden.

Diesmal haben wir mit dem Besuch von Vancouver entschieden mehr Glück. Jetzt verwöhnt uns die Sonne und die Stadt hat ein ganz anderes Flair. Zwei Tage lassen wir uns Zeit, die auf einer kleinen Halbinsel gelegene Innenstadt zu erkunden, obwohl man hier problemlos noch viel mehr Zeit verbringen könnte.

Am Canada Place im Norden tummeln sich die riesigen Kreuzfahrtschiffe, im Coal Harbour dümpeln schicke Yachten und kleine Boote einträchtig nebeneinander. Dahinter ragen die Wohntürme von Downtown auf, ein Ensemble aus unterschiedlichsten Glasfronten, die allesamt je nach Licht grünlich bis golden schimmern. Am südlichen Rand der Innenstadt das gleiche Bild, weiße Yachten und Boote, die in den Marinas vor den glänzenden Glasfassaden der Hochhäuser schaukeln. Nur im Kern gleicht Vancouver Downtown fast jeder anderen Großstadt.

Wir lassen uns treiben, spazieren die Uferpromenaden entlang, besuchen den Stanley Park, schlendern durch die Geschäftsstraßen und die kleine Altstadt, stürzen uns in den Trubel der Markthalle auf Granville Island. Und diesmal alles ganz ohne Regenschirm!

Bevor wir die Stadt verlassen, haben wir noch ein Versprechen einzulösen, wir besuchen Mike und Judy in Vancouver. Die beiden haben uns im letzten Herbst auf einem Parkplatz in der Stadt angesprochen und uns eingeladen. Es hat bis jetzt zwar nie mit einem Treffen gepasst, aber der Kontakt ist nicht abgebrochen. Nun, ein halbes Jahr später, klappt es und wir verbringen einen netten Nachmittag bei den beiden.

Jetzt aber zieht es uns mächtig in den Norden. Mitte Mai sollte auch dort oben der Frühling starten, außerdem ist das Zeitfenster recht klein, schließlich läuft unser halbes Jahr in Kanada Ende September aus. Und vor uns liegen viele Tausend Kilometer…

Deshalb geben wir Gas, so gut es unser Felix zulässt, und machen Strecke. Über den Highway 1 geht es durch den engen Fraser Canyon hindurch und danach durch Landschaft, die uns mit kargen, terrassenförmigen Berghängen eher an Texas oder Arizona erinnert.

Ab Kamloops nehmen wir den Highway 5, der sich von „Texas“ über „liebliches Allgäu“ zu den „Voralpen“ mausert. Je weiter wir nach Norden fahren, desto schöner wird es, denn links und rechts kommen immer mehr Gebirgsmassive ins Blickfeld.

Über den Yellowhead Highway geht es dann ostwärts nach Jasper. Der Mount Robson, höchster Berg der kanadischen Rockies, zeigt sich heute in voller Schönheit.

Alberta

Kurz darauf sind wir auch schon in Alberta und gleichzeitig im Jasper National Park angekommen. In Jasper sind erst mal ein bisschen Ruhe und Geburtstagfeiern angesagt. Da wir ja schon im letzten Herbst hier waren, lassen wir es gemütlich und ohne großes Besichtigungsprogramm angehen. Dann geht die Reise zügig weiter, wir verlassen den Nationalpark Richtung Osten und nehmen ab Hinton den Highway 40, die selbsternannte „scenic Road to Alaska“, der uns bis Grande Prairie bringt.

In dieser sprichwörtlichen großen Prairiestadt widmen wir uns ausgiebig den Vorbereitungen für den Start auf dem Alaska Highway. Felix bekommt die Dieseltanks bis zur Oberkante gefüllt, denn hier in Alberta ist der Diesel wesentlich günstiger als in der Nachbarprovinz British Columbia. Für uns sorgen wir natürlich auch vor, füllen unsere Konservenvorräte und sonstige haltbare Lebensmittel auf. Bis Alaska gibt es nur noch wenige Versorgungsmöglichkeiten und die werden mit zunehmender Entfernung immer teurer. Außerdem erstehen wir Blackfly-dichte Mückennetzmeterware, die im Notfall vor den felixeigenen Mückenrollos landen soll. Vor den Moskitoschwärmen und vor allem kleinen, beißenden Blackflies haben wir beide Respekt.

Und wo wir schon mal hier in der Stadt sind, versuchen wir uns an einer Stadtbesichtigung. Doch zu gucken gibt es in dem weitverstreuten Grande Prairie nicht viel und der heiße, staubige Wind, der durch die breiten Straßen weht, verleidet es uns zusätzlich. Ist das hier wirklich Kanada? Oder eher New Mexico? Auf dem Weg nach Dawson Creek erkennen wir dann doch, dass wir in der Provinz Alberta unterwegs sind: ewig zieht sich die Straße durch Felder und Wiesen, vorbei an Bauernhöfen und Getreidesilos.

British Columbia

Und dann endlich Dawson Creek, B.C., die Meile „0“ des legendären Alaska Highways. Damit ist dann auch schon die Hauptattraktion der Kleinstadt erwähnt, aber uns gefällt es dort und außerdem wollen wir hier noch mal die allerallerallerletzten Vorbereitungen für den Trip in den Yukon treffen. Auf dem kommunalen Campingplatz ist große Wäsche angesagt, in den Supermärkten wird ein letztes Mal groß eingekauft, denn mit all den frischen Lebensmitteln haben wir bis zum spätesten Zeitpunkt gewartet.

Nach zwei Tagen, an denen wir ständig das große Schild „Sie beginnen auf dem weltberühmten Alaska Highway“ vor der Nase hatten, starten wir endlich die ersten der vielen, langen, einsamen Kilometer.

70 Kilometer weiter, hinter Fort St. John, endet die Zivilisation, sieht man von dem schmalen Asphaltband ab, das sich inmitten einer breiten Schneise durch die Wälder des nördlichen British Columbia windet. Vor genau 75 Jahren hat die U.S. Army während des zweiten Weltkriegs im Hauruckverfahren die Straße in den Busch geschlagen, im Laufe der Jahre ist aus dem elendigen Schotter- und Schlammstreifen eine gut ausgebaute Landstraße in den hohen Norden geworden, die sich Trucks und Reisemobile mit allerlei Wildtieren teilen. Wer Vorrecht hat, ist eindeutig geklärt: Bisons und Bären haben immer Vorfahrt. Da heißt es, immer wieder auf die Bremse treten, denn Bären sehen wir jede Menge und auch Bisons bekommen wir zu Gesicht.

Am Anfang ist der Highway noch etwas eintönig, viel geradeaus, auf und ab, durch endlose Hügel und Mittelgebirge. Namen auf der Landkarte entpuppen sich meist als schlichte Versorgungsstationen im Niemandsland: Tankstelle, Lodge, Campingplatz, vielleicht noch ein Restaurant. Und nicht selten ist von dem „Roadhouse“ nur noch eine Ruine übrig.

Camps der Gas- und Ölindustrie sind anfangs hin und wieder zu sehen. Und wenn sich in der Nähe einer Lodge noch eine Handvoll Wohnhäuser versammeln, ist dies Anlass genug für ein Ortsschild, auch wenn der „Ort“ nur aus zwei Dutzend Einwohnern besteht.

Dann plötzlich Fort Nelson: Kilometer 460, mit rund 3.900 Einwohnern unangefochten die Metropole des „northern B.C.“ und quasi ein „Straßendorf“. Highlight ist das Fort Nelson Heritage Museum, ein buntes Sammelsurium aus Oldtimern, Straßenbaurelikten und was sonst noch so an alten Dingen zusammengetragen wurde.  Das interessanteste Original haben wir jedoch im Blaumann zwischen den alten Autos angetroffen: Marl Brown, 85 Jahre alt, Begründer des Museums und immer noch darauf bedacht, die Oldtimer zu hegen und fahrtüchtig zu halten.

Hinter Fort Nelson wird es für die nächsten 500 Kilometer noch einsamer. Aber interessanter. Die nördlichen Rocky Mountains tauchen am Horizont auf und der Alaska Highway strebt ihnen stetig  entgegen.

Auf dem Weg in die Berge finden wir einen schönen Übernachtungsplatz an einer verfallenen Lodge, mitten im Nirgendwo aber mit toller Aussicht ins weite Tal. Doch plötzlich wird die Ruhe durch lautes Scheppern gestört. Unser Nachbar, ein Schwarzbär, macht sich an den Überresten der Lodge zu schaffen, bevor er kurz darauf uns einen Besuch abstattet. Neugierig wird alles beäugt und beschnüffelt. Da freuen wir uns doch, dass der Felix so stabil und hochgebaut ist! Erst nach einer lautstarken Dauerbeschallung mit Helene Fischer und Co. tritt er den Rückzug an und verzieht sich sicherheitshalber ins Gebüsch…

Am Summit Lake haben wir den höchsten Punkt des Highways erreicht und saugen das tolle Gebirgspanorama in uns auf. Jetzt sind wir mittendrin in den Rocky Mountains. Schneebedeckte Gipfel umrahmen den auch Ende Mai immer noch zugefrorenen See, während wir bei Sonnenschein im T-Shirt umherlaufen können.

Der Muncho Lake unter blauem Himmel begeistert uns nicht weniger. So ein leuchtendes Smaragdgrün vor einer Bergkulisse aus grauem Fels und sattgrünen Wäldern, Postkarte pur. Wir haben Glück und finden einen Stellplatz direkt am Ufer, sitzen sozusagen in der ersten Reihe.

Das nächste Highlight am Highway: Liard River Hot Springs. Über einen Holzsteg, der ein paar hundert Meter durch Marsch und Wald führt, erreichen wir die natürlichen heißen Quellen, über denen die schwefeligen Dämpfe wabern. Erfreulicherweise müssen wir den Naturpool nur mit wenigen anderen Besuchern teilen, in ein paar Wochen, zur Hauptreisezeit, wird es hier sicher eng.

Nach einer Woche Reisezeit und rund tausend Kilometern auf dem Alaska Highway stehen wir am letzten Tag im Mai schließlich kurz vor der Grenze zum Yukon. Die Vorfreude wächst!