British Columbia
Jetzt geht sie los, unsere große Rundreise durch die Nationalparks in den kanadischen Bergen. Dafür wollen wir uns Zeit lassen, denn wie man so hört, soll es ja einiges zu sehen und erleben geben… Dabei wird unsere Geduld manchmal ganz schön auf die Probe gestellt. Was weniger an den zahlreichen Reisebussen liegt, die auch jetzt im Herbst an den bekanntesten Highlights noch Mengen an Touristen ausspucken. Sondern vielmehr am doch sehr herbstlichen Wetter, das uns immer wieder mit dicken Wolken, Nebel und Regen einen Strich durch die Rechnung macht. Das kostet uns in Summe eine ganze Reihe an Reisetagen, beschert uns aber auch gemütliche Nachmittage im Felix. Schon schön, sein Zuhause immer mit dabei zu haben. Nichtsdestotrotz haben wir eine tolle Zeit und genug Gelegenheit, die vielen Nationalparks, die sich durch die Columbia und die Rocky Mountains ziehen, näher kennenzulernen. Aber der Reihe nach:
Der Mount Revelstoke National Park ist für uns der Auftakt und irgendwie haben wir uns mit ihm den kleinsten und wohl auch unbekanntesten ausgesucht. Man nehme einen hohen Berg in den Columbia Mountains, baue eine Straße bis ganz nach oben – hier rühmt man sich des einzigen Gipfels, der per Auto zu erreichen ist – und erkläre das Gebiet zum Nationalpark. Nach einer endlosen Zick-Zack-Fahrt schließlich auf dem weitläufigen Gipfelplateau angekommen, ist der Blick über die umliegenden Bergmassive und langgezogenen Täler prima, jedenfalls solange die Sonne noch scheint.
Der Besuch des Glacier National Parks – ja, auch Kanada hat einen mit diesem Namen – fällt für uns leider recht kurz aus. Die tiefhängenden Wolken versperren oft erfolgreich den Blick auf die Berge und machen nicht gerade Lust auf Wandern, nur hin und wieder schauen ein paar Gipfel hervor. Und selbst wenn wir wollten, ginge es kaum, denn die allermeisten Parkplätze und Wanderwege sind gesperrt, wegen Bärenalarm oder Bauarbeiten oder was auch immer. Die Season scheint over. Also fahren wir durch und versuchen unser Glück woanders.
Im kleinen Städtchen Golden warten wir ein paar Tage den Regen ab, bevor wir in den Yoho National Park fahren. Wenn wir schon in den Rockies unterwegs sind, wollen wir schließlich auch was von dem tollen Gebirgspanorama erleben. Nach drei Tagen tauchen plötzlich die Berge wieder auf und wir machen uns schnell auf den Weg.
„Yoho“ klingt irgendwie komisch, aber als wir herausfinden, dass das Wort in der Sprache der First Nations ein Ausdruck von Staunen und Bewunderung ist, verstehen wir, warum der Park so benannt wurde.
Mit dem Emerald Lake haben wir endlich den ersten der wunderschönen Bergseen vor der Nase. Das Gesteinsmehl im Gletscherwasser sorgt dafür, dass der See je nach Lichtverhältnissen türkisblau bis smaragdgrün schimmert, ein Phänomen, das wir noch bei vielen Gletscherseen erleben werden.
Ein anderer nasser Hingucker sind die Takakkaw Falls, mit über 250 Metern Fallhöhe immerhin die dritthöchsten Wasserfälle Kanadas. Ganz schön beeindruckend, doch auch die Fahrt über die Stichstraße dorthin ist nicht gerade langweilig. Plötzlich geht es im Zick-Zack den Berg hinauf, die erste Kurve geht noch gerade so, aber in der zweiten bleiben wir erst mal stecken. Jetzt wissen wir, woher der Begriff „Spitzkehre“ kommt. Stephan setzt einmal zurück, Felix´ Hinterteil ragt etwas über die Kante, aber im zweiten Anlauf schaffen wir es um den verflixt engen, steilen Knick. Hoch lebe die Bodenfreiheit, andere Fahrzeuge setzen hier bestimmt auf.
Auf dem Rückweg sehen wir ein Wohnmobil rückwärts eine der Serpentinen hinab rollen… Hä?!… In dem Moment dämmert es uns, was die seltsamen Verkehrsschilder, die wir nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatten, uns sagen wollten. Wer ganz genau hinschaut, wird es auch erkennen:
Alberta
Vom Yoho geht es nahtlos in den Banff National Park. Enttäuscht schauen wir in die Richtung, wo ein paar Kilometer entfernt der weltberühmte Lake Louise vor grandiosem Bergpanorama schlummern soll. Wir sehen rein gar nichts, die tiefhängenden Wolken schaffen es tatsächlich, das ganze Gebirge verschwinden zu lassen. Also erst mal ab in die Kleinstadt Banff, der Lake Louise läuft ja nicht weg.
In Banff angekommen, können wir es kaum glauben, vier Tage Sonnenwetter. Sieht doch alles gleich ganz anders aus! Ein bisschen durch die Stadt bummeln, am Lake Minnewanka entlang wandern oder den Edelschuppen Fairmont Hotel auskundschaften, gehört alles zu unserem Programm.
Als Sahnehäubchen schaukeln wir per Gondel auf den Sulphur Mountain. Der hölzerne Boardwalk auf dem Gipfel gleicht zwar eher einer Eisbahn, aber der Panoramablick ist die Schlitterpartie wert. Das weite Tal umrahmt von hohen Gipfeln, Postkarte pur. So macht das Spaß!
Spaß haben wir auch, als Günter und Bettina eintreffen, mit denen wir auf dem Campingplatz verabredet sind. Wir haben uns ein Jahr zuvor in Kanadas Osten kennengelernt, Monate später in Texas zusammen in das Jahr 2016 hinein gefeiert und den Big Bend National Park unsicher gemacht. Und nun sind wir wieder zur gleichen Zeit am gleichen Ort, die beiden auf der Rückfahrt von Alaska und wir gerade auf dem Weg in den hohen Norden. Klar, dass es viel zu erzählen gibt.
Nach vier Tagen Banff lassen wir uns von Reisebroschüren und Tipps zu einem Abstecher in das Kananaskis Country verführen. Eine tolle Schotterpiste schlängelt sich mitten durchs Gebirge an den Spray Lakes entlang, kein Touristentrubel, dafür Landschaft satt und ein idyllisch am Seeufer gelegener Campground, auf dem wir zufällig Ulla und Karl mit ihrem Mercedes Axos treffen. Die beiden sind gute Reisebekannte von Günter und Bettina, die wir bisher nur aus ihren Erzählungen kennen. Nun verbringen wir selber einen sehr netten Abend mit ihnen.
Vom Spray Lake geht unsere Fahrt weiter in den schönen Peter Lougheed Provincial Park, der uns noch mit Sonne empfängt, aber bereits am nächsten Tag mithilfe dicker Regenwolken verscheucht. Eine Woche schönes Wetter muss wohl erst mal reichen, scheint Petrus zu denken.
Aber wir lassen uns von Petrus nicht foppen, sondern flüchten vor dem Grau spontan nach Calgary. Stand zwar nicht unbedingt auf unserer Liste, ist aber nicht weit weg und vor allem nicht in den Bergen, in denen sich ständig die Regenwolken des Pazifiks verfangen. Auch hier erleben wir, wie schon in Montana, wie abrupt die Bergmassive in plattes Land übergehen.
Calgary, einst Hochburg der Cowboys, später der Ölkonzerne und heute eine Mischung aus beidem, ragt mit seiner Skyline aus der unendlichen Prärie empor, ganz in der Ferne erkennen wir die Gipfel der Rocky Mountains. Bei schönstem Sonnenschein schlendern wir durch die zwar kleine aber hübsche „Großstadt“, in der sich Alt und Neu, Viehzucht und Finanzen, historischer Backstein und moderne Glasfronten prima verbinden. Übernachtet wird im Olympic Park gleich unterhalb der Skisprungschanzen, wo 1988 noch olympische Medaillen vergeben wurden und Jamaikas Bobmannschaft Geschichte schrieb, „Cool Runnings“ lässt grüßen.
Inzwischen ist es schon Mitte September, also nichts wie zurück in den Banff National Park, schauen, ob die Louise endlich wieder in der Sonne badet. Tut sie leider nicht. Es schüttet. Noch die ganze Nacht hindurch prasselt der Regen aufs Felixdach. In den frühen Morgenstunden ist es endlich still. Wird das etwa doch noch ein schöner, trockener Tag? Weit gefehlt. Ruhe herrscht, weil es plötzlich dick schneit! Na prima.
Es dauert noch ein paar Tage, bis wir uns endlich zu den beiden berühmten Gletscherseen oberhalb des Ortes Lake Louise wagen. Frühe Anreise ist hier gefordert, die Parkplätze sind begrenzt und begehrt. Quasi bereits vor dem Wachwerden fahren wir zum Moraine Lake hinauf, erklimmen den Aussichtshügel und warten geduldig, denn noch halten sich Wolkenbänder und Nebelschwaden vor den Gipfeln. Doch das Warten lohnt sich. Und das Frühstück schmeckt danach noch mal so gut. Als wir gegen Mittag zum Lake Louise hinüber fahren, fühle ich mich doch etwas vom Schicksal gebeutelt, denn pünktlich zu unserer Ankunft versteckt sich die Louise wieder unter einer grauen Wolkendecke. Was hat sie nur gegen uns?
Wir werden es wohl nicht mehr erfahren, denn am nächsten Tag beginnen wir die Reise über den Icefields Parkway, DIE Panoramastraße in den Rocky Mountains schlechthin. Die Art von Straße, auf der der Kamera-Akku schnell leer und der Speicherchip schnell voll wird.
Freundlicherweise verteilt der Nationalparkservice eine detaillierte Karte der vor uns liegenden 232 Kilometer, auf der alle Highlights verzeichnet sind, wir müssen nur auf die Entfernungskilometer achten. Obwohl noch viel Betrieb herrscht, haben wir manche Fleckchen fast für uns, andere sind auch jetzt im September noch überlaufen. Auf der Aussichtsplattform hoch über dem postkartenschönen Peyto Lake drängt sich alles, was per Bustour in drei Stunden über den Parkway kutschiert wird. Gut, dass wir unterwegs nicht in Stunden sondern Tagen rechnen…
Die Infrastruktur ist auf der gesamten Strecke recht dürftig, eine einzige Tankstelle und hin und wieder ein Hotel oder Campingplatz, sonst gibt es nicht viel. Dafür umso mehr grandiose Landschaft. Die Straße schlängelt sich beständig auf und ab, begleitet von wechselnden Gletscherflüssen. Hinter jeder Kurve tut sich ein neues Panoramabild auf. Schneebedeckte Gipfel und Bergketten, in den Wäldern erste gelbe Farbtupfer, dazwischen Seen, Gletscher und Wasserfälle, die sich wie Perlen entlang der Straße aufreihen.
Einer der Höhepunkte ist das Columbia Icefield kurz hinter der Grenze zwischen dem Banff und dem Jasper National Park. Dort gönnen wir uns das große Touristenprogramm. Der Effekt mit den bulligen Ice Explorern funktioniert, sieht schon nach großer Expedition aus, wenn die mit riesigen Reifen aufgemotzten Busse voller Besucher auf den Athabasca Glacier fahren. Ein Areal dieser mächtigen Gletscherzunge ist abgesperrt, wir dürfen alle aussteigen, eine Viertelstunde über das uralte Eis laufen und müssen dann mit unserem Bus wieder zurück. Uns tut es bis heute sooo leid, dass wir unseren Bus verpasst haben. Und den nächsten. Und den übernächsten. Und den überübernächsten… Nach zwei Stunden wenden wir uns an einen Guide und schildern unser Dilemma… 😉
Ein ganz anderes Dilemma hat der Gletscher zu bewältigen. Anhand von „Meilensteinen“ mit Jahreszahlen am Fuße des Gletschers bekommen wir eindrücklich vor Augen geführt, wie erschreckend schnell das doch nicht so ewige Eis zurückgeht. Was man nur vom Hörensagen kennt, können wir hier hautnah erleben.
Auf dem gläsernen Glacier Skywalk, der in 280 Metern Höhe frei über dem Sunwapta Valley schwebt, können wir uns glücklicherweise ganz offiziell so lange aufhalten, wie wir wollen. Zu sehen gibt es nämlich reichlich, insbesondere die vielen Menschen, die doch sehr zögerlich den Glasboden betreten.
Die Fahrt nach Norden Richtung Jasper geht weiter, das Panorama durch die Windschutzscheibe bleibt grandios. Jasper, einziger Ort im gleichnamigen Nationalpark, ist kleiner als Banff und lange nicht so touristisch. Aber in der Umgebung gibt es zahlreiche schöne Ziele, so dass wir auch hier ein paar Tage bleiben. Unser Ausflug zum Mount Edith Cavell endet abrupt auf dem Parkplatz, die Wanderwege sind gesperrt, Bauarbeiten sind einmal mehr der Grund. Die Nationalparks müssen ständig das kurze Zeitfenster zwischen touristischem Hochbetrieb und erstem Schneefall für die nötigen Instandhaltungen nutzen, schade aber verständlich.
Dafür haben wir mit unserem Ausflug zum Maligne Lake Glück. Zunächst führt die rund 50 Kilometer lange Stichstraße am Medicine Lake vorbei. In der Regel sieht er im Sommer wie ein normaler Bergsee aus, doch im Herbst und Winter erinnert er eher an Wattenmeer bei Ebbe. Denn nur im Sommer füllt das Schmelzwasser der Gletscher den See schneller auf, als es in dem unterirdischen Höhlensystem wieder abfließen kann.
Der Maligne Lake ist dagegen umso präsenter. Nicht umsonst wird er als einer der schönsten Seen in den kanadischen Rockies bezeichnet. Wir können nicht widerstehen und nehmen an einer der Bootstouren teil, die uns zur wohl berühmtesten Mini-Insel Kanadas führt, Spirit Island. Leider haben wir nur ein paar Minuten Zeit, das bekannte Postkartenmotiv zu genießen und festzuhalten. Denn anders als auf dem Athabasca Glacier wäre es hier nicht ratsam, die Rückfahrt zu verpassen. Uns bliebe nur übrig, durch den Gletschersee 15 Kilometer zurückzuschwimmen…
Pünktlich zum Ende des Monats verlassen wir die Rocky Mountains, doch wie so oft bleiben noch „weiße Flecken“ auf unserer Landkarte. Na ja, man muss ja auch noch Pläne für die Zukunft haben. Mit einem letzten Blick auf den höchsten Gipfel der kanadischen Rockies fahren wir weiter nach Norden. Der fast 4.000 Meter hohe Mount Robson ist so nett und lugt zum Abschied zwischen den Wolken hervor.